17.06.2016
Freihandelsabkommen

Gibt es Alternativen zu den Freihandelsabkommen TTIP und CETA?

Bislang waren die meisten europäischen Spitzenpolitiker davon ausgegangen, dass es sich bei den transatlantischen Handelsabkommen zwischen der EU und den USA bzw. Kanada um „gemischte Abkommen“ handelt. Das würde bedeuten, dass auch die nationalen Parlamente der Mitgliedsstaaten den Handelsabkommen zustimmen müssen, damit sie in Kraft treten können. Genau dies scheint nun aber von der Europäichen Kommission in Frage gestellt zu werden.
Auch der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat, wie zahlreiche andere europäische Politiker in der Vergangenheit mehrfach festgestellt, dass er CETA und TTIP als gemischte Abkommen betrachtet, die folglich auch von Bundestag und Bundesrat ratifiziert werden müssten. Dies wurde kürzlich auch von der niederländischen Handelsministerin Lilianne Ploumen  als Vorsitzender des Handelsministerrats, bestätigt. Demokratische Beteiligung in Frage gestellt
Nun wurde angekündigt, dass die EU-Handelskommisarin Cecilia Malmström in den nächsten Wochen einen Vorschlag vorlegen will, der dazu führt, dass genau diese demokratische Beteiligung der Mitgliedsstaaten vermieden wird.
Damit scheint sie auf die Position ihres Vorgängers Karel de Gucht zurückzufallen, der das CETA ebenfalls für allein in der Zuständigkeit der EU liegend betrachtete. Sie hat damit bei vielen Bürgerinnen und Bürgern die Sorge verstärkt, dass die transatlantischen Handelsabkommen dazu führen können, dass die Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume von demokratisch gewählten Regierungen und die Kontrollfunktion der Parlamente in wichtigen Politikbereichen eingeschränkt werden.  
Kurz vorher hatte das luxemburgische Parlament mit großer Mehrheit und unter deutlicher Zustimmung auch der Partei von Kommissionspräsident Junker gefordert, dass das CETA vor dem Inkrafttreten allen nationalen Parlamenten zur Abstimmung vorgelegt werden müsse. Besonders kritisch stehen die luxemburgischen Parlamentarier der vorgesehenen Regelung zum Investitionsschutz gegenüber. Sie bezweifeln u.a. die Unabhängigkeit und Neutralität der in Schiedsgerichten eingesetzten Richter.
Es entsteht der Eindruck, dass mit der Beschleunigung der Ratifizierung des CETA angesichts der zunehmenden Skepsis und Kritik Fakten geschaffen werden sollen -  auch mit Blick auf das noch nicht zu Ende verhandelte TTIP mit den USA.

Abschluss im Herbst kaum noch möglich
Die Anfang Mai durch Greenpeace veröffentlichten Leaks aus den TTIP Verhandlungen hatten zwar inhaltlich keine großen Überraschungen gebracht. Sie haben aber die sowohl von europäischen wie auch von deutschen Spitzenpolitikern geäußerten  Zweifel darein bestärkt, dass „ein gutes Abkommen“ in der angestrebten Zeit erreicht werden könne.
Die Beteiligten stehen also vor der Frage, ob sie ein stark abgespecktes Abkommen, das strittige Punkte wie Investitionsschutz und die Öffnung der Agrarmärkte weitgehend ausklammert, abschließen oder ob sie sehr weitgehende Zugeständnisse machen und Kompromisse eingehen, um überhaupt noch bis zum Herbst zu einem Abschluss zu kommen. Gegen beide Varianten gibt es auf beiden Seiten des Atlantiks erhebliche Widerstände. Außerdem ist bei jeder der beiden Varianten zu bedenken, dass das Abkommen zwischen der EU und Kanada (CETA), sollte es im bevorstehenden Ratifizierungsprozess angenommen werden, durch die engen wirtschaftlichen Verbindungen zwischen den USA und Kanada zahlreiche Einfallstore für die Durchsetzung der dort vereinbarten Regelungen auch in den USA bieten würde.

Einschätzung des Deutschen Richterrats zu Schiedsgerichten
Wesentliche Konfliktpunkte, die durch die Greenpeace Leaks bestätigt wurden, bleiben die Schiedsgerichte, die transnationalen Unternehmen die Möglichkeit bieten, vor nur ihnen offen stehenden Sondergerichten gegen Staaten zu klagen, wenn sie sich in ihren Geschäftsinteressen durch Gesetze und Regelungen dieser Staaten beeinträchtigt sehen. Diese Sondergerichte werden von Politikern aber auch vom Deutschen Richterrat zumindest als in demokratischen Rechtsstaaten überflüssig, teilweise auch als verfassungswidrig, betrachtet.
Deutlich wurden aber auch die weitreichenden kulturellen Unterschiede, die z.B. im europäischen Vorsorgeprinzip für die Zulassung von Produkten oder Stoffen gegenüber dem Nachsorgeprinzip (sound-science-principle), verbunden mit einem völlig anderen Schadensersatzrecht, in den USA deutlich werden. Aus den veröffentlichten Papieren geht hervor, dass eine Annäherung hier bisher nicht möglich war. Beide Prinzipien dienen dem Verbraucherschutz bzw. dem Umweltschutz und können in vielen Fällen durchaus zu gleichwertigen Ergebnissen führen. Sie haben sich vor dem Hintergrund eines jeweils unterschiedlichen Staatsverständnisses und teilweise auch unterschiedlichem Verständnis von Freiheit entwickelt, die aber nicht Gegenstand im Rahmen von Verhandlungen für einen Handelsvertrag sein können – zumal wenn diese unter starkem Zeitdruck geführt werden müssen. Die wechselseitige Anerkennung der Marktzulassung, um unerwünschte Kosten durch doppelte Verfahren zu vermeiden, könnte allerdings in zahlreichen Fällen zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen für einzelne Anbieter führen.

Gerade deshalb und angesichts der scheinbar verhärteten Fronten an mehreren zentralen Punkten ist zu überlegen, ob dies nicht der richtige Zeitpunkt ist, die zivilgesellschaftlichen Proteste sowie die fundierte fachliche Kritik zahlreicher Experten ernst zu nehmen, die Verhandlungen auszusetzen und über das Verhandlungsmandat und die Ziele, die mit den transatlantischen Handelsabkommen verbunden werden, grundsätzlich neu nachzudenken und in einem transparenten, partizipatorischen Verfahren ein neues Verhandlungsmandat zu formulieren.

Alternative anpacken: Neue und faire Ordnung für den Welthandel entwickeln
Die Verhandlungsmandate für die transatlantischen Handelsabkommen, insbesondere für das Abkommen zwischen der EU und den USA, gingen von Anfang an deutlich über den Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen im engeren Sinn hinaus. Sie umfassten geostrategische Ziele und sollten zu einer Stärkung des transatlantischen Bündnisses und zu einer Durchsetzung westlicher Werte beitragen. Im Vordergrund standen dabei die Festigung der Wettbewerbsposition der beteiligten Staaten und die Eingrenzung der befürchteten Macht-verschiebung (power-shift) zugunsten der großen Schwellenländer wie China, Indien und Russland). Zur Förderung dieser ordnungs- und geopolitischen Ziele wurden auch negative Auswirkungen auf Demokratie und Rechtsstaat sowie nachteilige Folgen für Entwicklungsländer oder kleinere Schwellenländer in Kauf genommen, teilweise auch geleugnet.
Bei Handelsverträgen, die den Anspruch erheben, globale Standards zu setzen, kommt allerdings der Kohärenz von Wirtschafts- und Handelspolitik mit anderen Politikfeldern eine hohe Bedeutung zu. Handelsverträge und Ordnungen dürfen nicht anderen nationalen und internationalen  Abkommen entgegenstehen. Damit Handel tatsächlich zu mehr  Wohlstand für möglichst alle führen kann, darf er nicht zu einer weiteren Spaltung führen, weder auf nationaler Ebene noch in den Nord- Südbeziehungen.
Gerade Kirchen können hier Impulse setzen, die sich auf ihre Erfahrungen im jahrzehntelangen Prozess zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung gründen. Eine künftige Handelsordnung muss angesichts  der großen globalen Herausforderungen an dem übergeordneten Ziel der Nachhaltigkeit ausgerichtet sein. Neben einem verantwortlichen, effizienten Umgang mit natürlichen Ressourcen (Wirtschaftlichkeit) gehören dazu auch Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit. Handelsverträge und eine Weiterentwicklung der Weltwirtschaftsordnung müssen sich diesen Zielen unterordnen. Auf keinen Fall dürfen sie deren Verfolgung erschweren oder ihnen gar entgegenstehen.

Es gibt bereits Initiativen, die Anregungen und Einladungen zu einer gesellschaftlichen Debatte in diese Richtung bieten können  wie z.B. das „Alternative Trade Mandate“ (Alternatives Handels-Mandat), das von 50 Organisationen, die sich  zur „Alternative Handels Mandat Allianz“ zusammengeschlossen haben, vorgelegt wurde. Die Initiative des Forum Umwelt und Entwicklung fordert eine alternative europäische Handels- und Investitionspolitik. Sie darf sich nicht als Selbstzweck verstehen sondern als  Bestandteil eines alternativen europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells, und in diesem Rahmen Solidarität und eine nachhaltige Entwicklung fördern. Sie kann und muss ein Instrument zur gerechten Verteilung des weltweiten Reichtums sein und Menschen den Zugang zu Ressourcen, Waren und Dienstleistungen erlauben, die sie zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse benötigen. (http://www.forumue.de/hin-zu-einem-alternativen-handelsmandat-fuer-die-eu-eine-einladung-zur-beteiligung). Die vorliegenden Entwürfe verstehen sich nicht als fertiges Programm.

Wirtschaften für das Leben
Als zentralen Maßstab für eine künftige Wirtschaftsordnung könnte das "Wirtschaften für das Leben" sein, eine Vision des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Danach wird eine ökonomische, finanzielle und ökologische Gerechtigkeit unter demokratischer Beteiligung angestrebt. Der Rat der EKD hat in seiner Denkschrift „Umkehr zum Leben - Nachhaltige Entwicklung im Zeichen des Klimawandels“ bereits 2009 sowie über eine Studie der Kammer für nachhaltige Entwicklung auch 2015 im EKD Text 121 „Unser tägliches Brot gib uns heute – Neue Weichenstellungen für Agrarentwicklung und Welternährung“ wichtige Orientierungs- und Gesprächsangebote für diese Herausforderungen vorgelegt.

Dr. Brigitte Bertelmann, ZGV, Referat Wirtschaft und Finanzpolitik