20.12.2017
Zentrum

Fachtag zur Verabschiedung von Dr. Brigitte Bertelmann

Dr. Brigitte Bertelmann, Referentin für Wirtschaft und Finanzpolitik und stellvertretende Leiterin im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung (ZGV) der EKHN wurde am Mittwoch, den 13. Dezember 2017, im Rahmen eines Gottesdienstes vom Leiter des ZGV, Oberkirchenrat Christian Schwindt, in Mainz verabschiedet. Er schätze sie sehr in ihrer Rolle als stellvertretende Leiterin des Zentrums und als versierte Fachfrau in Wirtschafts-, Finanz- und theologisch-ethischen Fragen. „Wir lassen Sie nur sehr ungern gehen und werden Ihren klugen Sachverstand, ihre Menschenliebe und Ihre herzliche Persönlichkeit vermissen“, so Schwindt in seiner Ansprache.
Zuvor verabschiedete das Zentrum Frau Dr. Brigitte Bertelmann mit einer Fachveranstaltung zum Thema  „Die große Transformation durch kulturellen Wandel “. Als Vertreterin des ZGV im Ökumenischen Prozess „Umkehr zum Leben-den Wandel gestalten“ lag ihr dieses Thema sehr am Herzen.
Der Physiker Professor Dr. Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung war Hauptredner des Tages.
Der Mensch als kulturelles Wesen gestaltet seine Welt
Besonders in den letzten 300 Jahren hat der Mensch massiv und tiefgreifend in die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde eingegriffen. Heute kann man die langfristigen Veränderungen bereits erkennen wie z.B. die Erderwärmung, die Erwärmung der Weltmeere und den Verlust der Artenvielfalt. Dass dies alles jedoch beileibe keine neuzeitlichen Phänomene sind, sondern in der Gegenwart lediglich eine neue Qualität erhalten haben, machte Lucht, Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesrepublik, mithilfe eines Fundes aus der Steinzeit klar. Auf einem Stein sind deutlich die Umrisse eines von Menschen gezeichneten Mammuts zu erkennen. Es gab also Menschen, die mit ihren eigenen Augen Mammuts gesehen haben. Zugleich weisen die Funde aus der Steinzeit darauf hin, dass schon immer das menschliche Welterleben und die menschliche Weltgestaltung in einem kulturellen Rahmen erfolgt. Die Bilder sind nicht einfach nur Abbildungen, sondern gehören in einen mythologischen Kontext. Der Mensch ist ein Wesen, das seit seinen ersten Anfängen Kultur besitzt und aufgrund seiner kulturellen Prägung seine Welt gestaltet – entweder so, dass er diese Welt lediglich ausbeutet oder so, dass er ihr mit Achtsamkeit begegnet.
Es geht um das Ganze der Erde
Es ist für Lucht daher evident, dass es einen verantwortlichen Umgang mit dem sogenannten Anthropozän – dem Zeitalter der durchgängigen Prägung des Planeten durch die Aktivitäten des Menschen – nur geben kann unter Einbeziehung der Kultur des Menschen. Ein angemessenes Erdverständnis kann es nur geben, wenn der Mensch über ein angemessenes Selbstverständnis verfügt – und das ist seit jeher das Feld der Kultur. Der Mensch muss sich nach Lucht von einem „homo ignoramus“ zu einem „homo geosapiens“ weiterentwickeln.
Die Dringlichkeit einer solchen Verzahnung von naturwissenschaftlicher Beschäftigung mit den Herausforderungen des Anthropozäns mit einer genauso intensiven kulturwissenschaftlichen Besinnung beschrieb Lucht mehr als eindringlich. Es gehe jetzt um das Ganze der Erde. Die großen Subsysteme veränderten sich wie beispielsweise die Regenwälder im Amazonas, der Indische Sommermonsun oder die Ozeanzirkulation. Letztere trage erkennbar zur Häufung von katastrophalen Schneefällen an der Ostküste Nordamerikas bei. Wissenschaftliche Untersuchungen belegten nach Lucht, dass die Erde nicht so robust sei, wie bisher angenommen. Man müsse heute die Folgen menschlichen Handelns unbedingt in den Blick nehmen, damit auch zukünftige Generationen auf dem Planeten gut leben können.

Der kulturelle Wandel der Gesellschaft
Dazu ist ein kultureller Wandel in allen Bereichen der Gesellschaft erforderlich. „Um sich an der Gestaltung des Wandels zu beteiligen, muss sich beispielsweise die Ökonomie verändern und lange Zeit kaum hinterfragte  Dogmen aufbrechen wie das Postulat, dass wirtschaftliches Wachstum von Unternehmen sowie von Volkswirtschaften unerlässlich und unverzichtbar für ein gutes Leben ist“, so die Volkswirtin Bertelmann. Man dürfe Klima- und Artenschutz, sowie den Schutz von regionalen und globalen Gemeingütern nicht als Luxus ansehen, den man sich erst auf der Grundlage von wirtschaftlichem Erfolg leisten könne und der die sozialen und ökologischen Schäden, Kosten und teilweise irreversiblen Verluste nicht berücksichtige, mahnte sie weiter.
Der Beitrag von Theologie und Kirche zum kulturellen Wandel
Professor Lucht zeigte sich hocherfreut, dass das Thema der Fachtagung an einem kirchlichen Ort behandelt wurde, da seiner Auffassung nach die Kirchen ein besonders geeigneter Partner sind, um kulturelle Wandelungsprozesse zu initiieren und zu begleiten. Die Traditionen des christlichen Glaubens bieten eine Fülle von Bildern und Geschichten, in denen genau die Werte enthalten sind, die zur Orientierung in den Herausforderungen des Anthropzäns nötig sind. Der christliche Glaube biete zum Beispiel in der Schöpfungsgeschichte eine höchst konkrete Verknüpfung von Verantwortung für die Weltgestaltung und Aufforderung zur Selbstbesinnung und Selbstverortung in der dem Menschen anvertrauten Schöpfung. Dr. Ralf Stroh, theologischer Referent für Wirtschafts- und Sozialethik am ZGV, ergänzte diese Überlegungen mit dem Hinweis darauf, dass der besondere Reichtum der christlichen Tradition sich vor allem dann erschließt, wenn man diese Bilder und Geschichten nicht einfach nur als ethisch gehaltvolle Wissensbestände weitergibt. Damit blieben sie lediglich neutrale Informationen ohne unmittelbaren Bezug zum Leben heutiger Menschen. Er schlug daher vor, die Tatsache ernst zu nehmen, dass diese Bilder und Geschichten ihrerseits nichts anderes seien als die in Sprache gefasste Praxis der Selbstbesinnung und Weltgestaltung von Menschen. Die Weitergabe dieser christlichen Bilder und Geschichten kann deren vollen Gehalt daher nur dann einholen, wenn diese Weitergabe als eine ebensolche Praxis der gemeinsamen Selbstbesinnung vollzogen wird. Das Neue Testament erzählt von Jesu Leben, Sterben und Auferstehung und ist ein Dokument menschlicher Selbstverständigung über diese Erfahrung. Die christlichen Werte werden nicht als besonders wertvolle Informationen weitergegeben, sondern als die Kultur einer besonders gehaltvollen Praxis der gemeinschaftlichen Verständigung über die Frage, was es heißt, als Geschöpf in der Schöpfung zu existieren. Mit einer solchen Praxis gehaltvoller menschlicher Selbstverständigung könnten die Kirchen eine Vorbildfunktion übernehmen für die gesamte Gesellschaft und beitragen zu einer Kultur, die Wandlungsprozessen angstfrei gegenübersteht und sie mitgestaltet, statt sie nur zu erleiden. Diese Vorbildfunktion können die Kirchen aber nur dadurch übernehmen, dass sie nicht nur andere, sondern zunächst und zuerst ihre eigene Geschichte und Tradition kritisch ausleuchten und aus ihren Fehlern lernen.
„Auch wenn der kulturelle Wandel der Gesellschaft ein Mammutprojekt ist, es lohnt sich, sich dafür einzusetzen. Auch kleine Veränderungen der Zivilgesellschaft können Signale setzen und müssen in Verbindung gebracht werden mit den großen Theorieansätzen, die Lucht und andere entwickeln und Theologie und Kirche sollte sich in den Prozess einbringen“, so  Dr. Brigitte Bertelmann zum Abschluss des Fachtages.