24.11.2015
Klimaschutz

„Wir brauchen einen radikalen Wandel“. Konrad Raiser spricht in Darmstadt über den Klimawandel als spirituelle Herausforderung


DARMSTADT. Kurz bevor in Paris der Weltklimagipfel stattfinden soll, hat Prof. Dr. Konrad Raiser, früherer Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, in der Stadtkirche in Darmstadt über Klimagerechtigkeit und deren geistliche Dimension gesprochen.
„Umkehr zum Leben“ war der Vortrag überschrieben, zu dem das Evangelische Dekanat Darmstadt-Stadt Konrad Raiser im Rahmen der EKHN-Impulspostkampagne „Buße – Hausputz für die Seele“ eingeladen hatte. Umkehr ist die Grundbedeutung von Buße, so Raiser. Der Theologe gab zunächst einen Abriss über den weltweiten Klimawandel infolge der Erderwärmung durch Treibhausgase und über staatliche Vereinbarungen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Er verknüpfte das Thema zudem mit der gerade zu Ende gegangenen Friedensdekade unter dem Motto „Grenzerfahrungen“. Auch hier gebe es „Grenzen, an die unsere bisherige, von wirtschaftlichen Wachstumsinteressen bestimmte Lebensform stößt“. Die Gesellschaften seien durch den Klimawandel genötigt, sich diesen Grenzen konkret zu stellen und die „Umkehr zum Leben zu lernen“. Die Bewältigung des Klimawandels stelle nicht nur eine technische und politische Herausforderung dar, sondern nötige zu einer spirituellen Umkehr, zur Abkehr von fehlgeleiteter Fortschrittsgläubigkeit.
Raiser verwies außerdem auf den 2013 ins Leben gerufenen ökumenischen Prozess „Umkehr zum Leben – den Wandel gestalten“, der eine in der Frage des Klimawandels eine „notwendige Transformation“ fordere. Dazu gehöre auch die von Kirchen und Organisationen getragene „Klimaallianz“, die 2007 als entwicklungspolitische Klimaplattform unter dem Titel „Klima der Gerechtigkeit“ gegründet wurde. Die EKD-Denkschrift von 2009, „Umkehr zum Leben. Nachhaltige Entwicklung im Zeichen des Klimawandels“ beziehe sich ebenfalls darauf. 2012 haben erstmals Gewerkschaften, der BUND sowie kirchliche Organisationen gemeinsam über die notwendigen Schritte der Transformation beraten. Schließlich habe die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Busan 2013 eine Erklärung zu „Klimagerechtigkeit“ verfasst und Mitgliedskirchen zu einem ökumenischen „Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens“ eingeladen. Der daraus entstandene Pilgerweg für Klimagerechtigkeit, der seit September von Flensburg über Trier 1470 Kilometer zum Klimagipfel nach Paris führt, wird vom Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN unterstützt. Die EKD-Synode hat jüngst eine Erklärung zu „Schöpfung bewahren, Klima schützen, Schwache stärken – Paris als Chance für echte Klimagerechtigkeit“ verabschiedet.
Von einer Klimakrise spreche man seit dem UN-Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992, 1997 wurde in Kyoto ein Zusatzprotokoll beschlossen, das 2005 in Kraft getreten ist - ohne Beteiligung der USA. Darin wurde beschlossen, den CO2-Ausstoß um 5,2% bis 2012 zu reduzieren. Weitere Vereinbarungen für eine zweite Verpflichtungsperiode ab 2013 scheiterten, sodass man sich mit der Verlängerung des Kyoto-Protokolls bis 2020 begnügen musste, so Raiser.  Es werde jedoch prognostiziert, dass dramatische Veränderungen für die Lebensbedingungen auf der Erde eintreten, wenn es nicht gelinge, die Erwärmung der Erdatmosphäre auf 2 Grad gegenüber dem Wert von 1990 zu begrenzen, sagte Raiser. Bei der 21. Konferenz der Vertragsstaaten in Paris soll nun ein Klimabekommen beschlossen werden.

Bereits 1994 verabschiedete der ÖRK eine Erklärung zum Klimawandel unter dem Titel „Globale Erwärmung und Klimawandel: Ein Aufruf an die Kirchen“. Hierin stellte der ÖRK fest, dass globale Erwärmung und Klimawandel sichtbare Indikatoren für eine Zivilisationskrise seien und  durch die „Weigerung, die Grenzen der Schöpfung Gottes zu akzeptieren“, verursacht würden. Die durch den Klimawandel hervorgerufenen gesellschaftlichen und ökologischen Schäden seien „eine Sünde vor Gott“ und stellten eine „Vergewaltigung der Schöpfung“ dar. Ein radikaler Wandel könne nur durch ernsthafte Umkehr und eine Veränderung des Lebensstils erreicht werden, indem sich „die Reichen von der verfehlten Orientierung auf einem ständig wachsenden Konsum abwenden“, so Raiser. Die Herausforderung des Klimawandels sei zudem eine Frage der Gerechtigkeit, weil ökologische Nachhaltigkeit, wirtschaftliche Gerechtigkeit und die Achtung der Menschenrechte unlösbar verknüpft seien.     
„Dürfen wir uns mit dem Gedanken beruhigen, dass Gott uns vor weiteren Sintfluten bewahren wird? Oder wird diese Zusage des Noahbundes dadurch gegenstandslos, dass wir erneut dem unersättlichen Streben nach Mehr verfallen sind? Überlässt uns Gott unserem Schicksal?“ fragte Konrad Raiser. Hier zitierte Raiser einen Aufruf des ÖRK: „Die ganze Gemeinschaft lebender Organismen, die wächst und gedeiht, ist Ausdruck von Gottes Willen und arbeitet zusammen, um aus dem Land Leben zu beziehen und ihm Leben zu geben, eine Generation mit der nächsten zu verbinden und die Fülle und Vielfalt von Gottes Haushalt (oikos) zu erhalten.“ Die Schöpfung zu erneuern und zu heilen, fordere einen radikalen Wandel durch „verwandelnde Spiritualität“. In der Perspektive des  Schöpfungsglaubens sei die Natur kein in sich abgeschlossenes System, sondern offen zur transzendenten Wirklichkeit Gottes, sie habe ihren Bestand in der Beziehung zu Gott, der durch seinen Geist in der Schöpfung als Energie des Lebens präsent sei
„Die spirituelle Herausforderung besteht deshalb darin, sich auf die verwandelnde Kraft des Geistes Gottes einzulassen, sich selbst verwandeln zu lassen und so hineingezogen zu werden in die Bewegung des Geistes Gottes“, schlussfolgerte Raiser. Die Schöpfungsspiritualität sei bezogen auf den in der Schöpfung lebendigen Geist, der ihre Transformation und Erneuerung bewirke. Sie gewinne Gestalt in der metanoia, der immer neuen Verwandlung des Bewusstseins und der Ausrichtung des Lebens, zu dem Jesus mit seinen Gleichnissen aufgerufen habe. Das bedeute, sich von der Auferstehungshoffnung leiten zu lassen in den gegenwärtigen Krisen. Der die christliche Denktradition prägende „Anthropozentrismus“, für den die Erde der Herrschaft des Menschen übergeben ist, habe seine Entsprechung in dem von Allmacht und Herrschaft bestimmten Bild Gottes. Hier liege laut Raiser eine der „spirituellen Quellen für die Dynamik der gefährlichen gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung“, die zur Klimakrise geführt habe.
Die Rolle der Kirchen für die Freisetzung einer transformativen Spiritualität müsse darin bestehen, „die in der eigenen Lehr- und Glaubenstradition verborgenen spirituellen Hindernisse aus dem Weg zu räumen und eine selbstkritische Neubewertung ihres Verständnisses der Beziehung zwischen Gott, Menschheit und Erde vorzunehmen“, forderte Raiser. Vortrag von Prof. Dr. Raiser Von Rebecca Keller, Evangelisches Dekanat Darmstadt