14.04.2020
Umwelt & Digitale Welt

Coronakrise: Digitale Nähe statt “sozialer Distanz” - Chancen für die Digitalisierung

von: Michael Grunewald und Lukas Spahlinger, Referat Umwelt und Digitale Welt, m.grunewald@zgv.info , l.spahlinger@zgv.info

Die Digitalisierung wird durch den verstärkten Rückzug ins Häusliche einen Aufschwung bekommen. Das ist eine These, die momentan in vielen Tageszeitungen und Blogeinträgen zu lesen ist. Der Hintergrund der These ist, dass sich durch die Corona-Krise und der damit verbundenen Restriktionen für das öffentliche und berufliche Leben ein Großteil des Lebens in die “digitale Welt” verlagere. Diese Trennlinie zwischen analoger und digitaler Welt ist aufgehoben. Wir sind stärker denn je auf die technischen digitalen Möglichkeiten angewiesen und somit mehr in digitalen Räumen unterwegs.
Ob die Krise tatsächlich dazu beiträgt, dass es zu einer “Welle der Digitalisierung” kommt, hängt von zahlreichen Faktoren ab: Wie gut ist die digitale Infrastruktur vor Ort, wie gut die Ausstattung mit Endgeräten zu Hause oder im Büro? Wird nun verstärkt in die digitale Infrastruktur und die Ausstattung investiert? Wie hoch ist die Technikaffinität und -kompetenz der Einzelnen, die sich nun mit digitalen Techniken beschäftigen müssen? Wird eine Technologiebegeisterung ausgelöst oder führen die Erfahrungen eher zu einer Art Technologiefrustration? Bleibt vielleicht auch alles beim Alten?

Bedeutung der digitalen Infrastruktur vor Ort

Dass eine echte Benachteiligung für diejenigen besteht, die keinen oder bloß einen langsamen Zugang zum Internet haben, wird zurzeit besonders deutlich. Vermeintlich schnelle Arbeitsschritte wie das Abrufen eines Dokuments in der Cloud oder durch eine VPN-Verbindung verlangsamen bei Zugriffsschwierigkeiten den Arbeitsprozess im Home-Office oder verhindern ihn sogar. Das kann nicht nur zu Frustrationen, sondern sogar dazu führen, dass man abgekapselt von der Außenwelt ist - im wahrsten Sinne des Wortes. Dies birgt sogar das Risiko sozialer Isolation. Denn bei allen Vorteilen, die durch digitale Technik entstehen, ist der Zugang doch entscheidend. Wo das Netz gut ausgebaut ist, fällt gar nicht besonders auf, welchen Vorteil man hat, digitale Kanäle ganz einfach und bequem von zu Hause zu nutzen.

Teilhabe am öffentlichen und beruflichen Leben

Die Frage, wie  Arbeits- oder Lernprozesse von zu Hause aufrechterhalten werden können, ist zentral. Wo es möglich war, wurden technische Lösungen bereitgestellt, Laptops (wenn noch nicht vorhanden) besorgt oder auf private Geräte zurückgegriffen. In anderen Bereichen, beispielsweise im Einzelhandel oder der Gastronomie lässt sich die Arbeit nicht einfach in die “digitale Welt” übertragen. Es gibt aber auch hier Initiativen, die nun auf Online-Bestellungen und Lieferungen setzen. Schon jetzt ist festzustellen, dass die Innovations- und Improvisationskraft Vieler (IT’ler, Lehrer*Innen, Angestellte, etc.) einen wesentlichen Beitrag geleistet haben, um den Laden - irgendwie - am Laufen zu halten. Videokonferenzen oder digitale Veranstaltungsformen (Übertragung per Stream, Beteiligung per Chat, Webinare, etc.) werden ins Leben gerufen. Momentan handelt es sich meist um improvisierte Lösungen. In manchen Haushalten und Arbeitsstätten fehlen entsprechende Endgeräte. Ob die digitalen Möglichkeiten durch die Krisenerfahrungen vermehrt als eine Chance begriffen werden, ist nicht absehbar.

Chancen durch eine vermehrte Nutzung digitaler Techniken

Das momentane Kontaktverbot unterbindet einen Großteil physischer menschlicher Zusammenkünfte. Digitale Kommunikationsformen werden vermehrt genutzt: Konferenzen werden als Webinare veranstaltet, Konzerte werden gestreamt und die Treffen im Park werden durch Videokonferenzen ersetzt. Folgt aus dieser Anwendungspraxis eine allgemeine Kompetenzsteigerung? Nicht automatisch! Entscheidend wird sein, wie sehr Menschen sich gegenseitig unterstützen, damit diejenigen, die nicht die nötigen Kompetenzen besitzen, diese erlangen. Das Stichwort ist Solidarität! Füreinander-da-sein, Rücksichtnahme und ein Sich-gegenseitig-unterstützen ist angesagt. Digitalkompetenz ist ein hohes Gut. Es weiterzugeben, schafft Zusammenhalt und Innovation. Wenn - in diesem Sinne - positiv und empathisch mit der aktuellen Situation umgegangen wird, dann kann es tatsächlich dazu führen, dass positive Erfahrungen mit digitalen Technologien die Digitalisierung beflügeln. Dazu bedarf es jedoch wie bei jedem gesellschaftlichen Wandel menschlicher Anstrengungen - auch wenn er digitale Techniken beinhaltet.

Widersprüchlichkeiten

Es ist aber nicht nur eine Frage des Kompetenzerwerbs. Die Haltung gegenüber digitalen Anwendungen, seien es Videokonferenzen oder Lieferservice, spielt eine entscheidende Rolle. Momentan erscheinen sie widersprüchlich. Waren, die nun nicht in den lokalen Geschäften eingekauft werden können, könnten online gekauft werden. Will ich das? Manche lokalen Händler bitten sogar darum, da sie so einen Teil des Geschäftsbetriebes aufrechterhalten können. Büroarbeit, die sonst nur im Geschäft erledigt wurde, geht nun auch zuhause. Damit geht auch eine Entgrenzung der Arbeitserfahrung einher. Wie wirkt das auf mich? Die Trennlinie von privat und dienstlich, von online und offline stellt uns Menschen vor eine grundsätzliche Frage: Wie stellen wir uns die digital-analoge Zukunft vor, welche Wünsche haben wir? Das gilt es im Zeitalter der Krise weiter auszuloten.