20.06.2016
Europäischer Arbeitsmarkt

Beziehungsstatus: „Es ist kompliziert“ – das Vereinigte Königreich und die Europäische Union

Wenn die Briten am 23. Juni 2016 über einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union abstimmen, ist dies Ausdruck einer komplizierten Partnerschaft. Denn von Anfang an gestaltete sich die Beziehung zwischen der „Insel“ und dem „Kontinent“ schwierig. Eine Herzensangelegenheit war die Beziehung nie, vielmehr standen wirtschaftliche Interessen und der Erhalt der britischen Identität im Fokus der wechselhaften Beziehung.

Geschichtlicher Hintergrund
Als das Vereinigte Königreich 1961 einen Antrag auf Mitgliedschaft in die damalige EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) stellte, wurde dieser auf Betreiben des französischen Staatspräsidenten Charles De Gaulles zunächst zurückgestellt. 1967 stellte das Vereinigte Königreich, insbesondere aufgrund seiner wirtschaftlichen Schwäche, erneut einen Antrag auf Mitgliedschaft. Doch erst mit dem Rücktritt von Charles De Gaulles ergab sich eine reelle Chance auf einen Beitritt, der 1973 schließlich Wirklichkeit wurde. Der Beitritt war im Vereinigten Königreich höchst umstritten, Befürworter und Gegner eines Beitritts hielten sich die Waage. Die Befürworter erhofften sich durch den Beitritt eine Erholung der schwächelnden Wirtschaft. Die Gegner befürchteten steigende Nahrungsmittelpreise und einen Verlust der Identität. Die oppositionelle Labour - Partei versprach im Fall eines Sieges bei den Wahlen 1974 ein Referendum über den Verbleib in der EWG durchzuführen – die Parallelen zu den Parlamentswahlen 2015, bei denen das Referendum eine große Rolle spielte, sind deutlich erkennbar. Nach dem Sieg der Konservativen fand 1975 das erste Referendum über einen Verbleib in der EWG statt. Die Wirtschaft, die anglikanische Kirche und die Presse sprachen sich deutlich für einen Verbleib aus, wie dann auch die britischen Wähler*innen mit 67,2 Prozent Ja- und 32,8 Prozent Nein-Stimmen.

Sonderrolle unter Margret Thatcher
Doch die Debatte um die Mitgliedschaft war damit noch nicht vorüber. 1984 erstritt die damalige Premierministerin Margret Thatcher den sogenannten „Briten-Rabatt“ (2/3 der Nettozahlungen an die EWG werden erstattet). Die Beibehaltung von Passkontrollen, keine Teilnahme am Euro, und das Recht sich nicht an allen Integrationsschritten beteiligen zu müssen, sind weitere Privilegien, die das Vereinigte Königreich erstritten hat. Das erneute Referendum ist daher als Konsequenz einer komplizierten Beziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union zu sehen.
Die Sonderrolle, die sich das Vereinigte Königreich über die Zeit erstritten hat, war und ist schon häufiger Gegenstand von Kritik gewesen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die Stimmen, die die Briten ziehen lassen wollen, mehren. Hier wird die Politik des Vereinigten Königreichs als Hindernis für eine engere Zusammenarbeit in der Europäischen Union gesehen und die Sonderrolle des Vereinigten Königreichs als Störfaktor wahrgenommen. Die langfristigen Folgen eines Austritts des Vereinigten Königreichs kann niemand abschätzen. Die symbolische Bedeutung eines Austritts wäre enorm und würde europaskeptische Parteien in den Niederlanden oder Frankreich beflügeln. Ob der Austritt aber tatsächlich einen Domino-Effekt in Gang setzt oder nicht vielmehr ein Zusammenrücken der anderen EU - Staaten bewirkt ist noch offen. Fest steht, dass ein Austritt langwierige und komplizierte Verhandlungen bedarf, und sowohl die britische als auch die anderen Volkswirtschaften zunächst unter einem Austritt leiden würden. Und unabhängig vom Ausgang des Referendums werden die Briten und die Europäische Union weiterhin partnerschaftlich verbunden bleiben und zusammenarbeiten, denn eine Isolation des Vereinigten Königreichs möchte niemand. Die Debatte um das Referendum zeigt aber auch deutlich, dass es der Europäischen Union bisher nicht gelungen ist, die Herzen der Menschen zu gewinnen. Die EU scheint zu sehr auf die wirtschaftliche und technische Seite der Integration fokussiert zu sein. Wichtig wäre aber auch, der Europäischen Union ein Herz und eine Seele zu geben, wie es bereits in den 1990er Jahren der damalige Kommissionspräsident Jaques Delors in einem Appell an die Kirchen formuliert hat.

Julia Dinkel, ZGV, Referat Arbeit und Soziales