07.03.2023
Arbeit & Soziales

„Pfandflaschen sammeln ist kein Rentenkonzept“ Der kleine Unterschied und die großen Folgen

Interview mit Heike Miehe, Referat Arbeit und Soziales im ZGV

Heute ist Equal Pay Day. Was bedeutet dieser Tag?
Der Tag symbolisiert den durchschnittlichen Einkommensunterschied zwischen berufstätigen vollzeitbeschäftigten Frauen und Männern. Dieser Unterschied variiert seit Jahren um die 20%.
Es handelt sich hier um einen Durchschnittswert. Wenn also vollzeitbeschäftigte Frauen im „Durchschnitt“ 18% weniger Bruttostundenlohn verdienen als Männer, kann die einzelne Frau davon sehr unterschiedlich betroffen sein. Je nach Branche oder Stellung kann der Lohnunterschied höher oder niedriger ausfallen.
Auch in anderer Hinsicht bildet dieser sogenannte Gender Pay Gap das wahre Ausmaß der Ungleichheit zwischen Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt nur unzureichend ab. Auf das gesamte Erwerbsleben gerechnet, verdienen Frauen nur etwas mehr als die Hälfte der Erwerbseinkommen der Männer. Die Lücke in den Lebenserwerbseinkommen, der sogenannte Gender Lifetime Earnings Gap beträgt 45 Prozent in West- und 40 Prozent in Ostdeutschland, so eine Studie der Bertelsmann Stiftung.

Welche Frauen sind besonders betroffen?
Meist sind es Mütter, die aufgrund der Kindererziehung eine deutliche Minderung ihrer Lebenserwerbseinkommen haben. Währenddessen nähern sich mittlerweile die Lebenserwerbseinkommen der kinderlosen Frauen denen der Männer an. Auf die Einkommen der Väter hingegen wirken sich Kinder so gut wie gar nicht aus.  

Was sind die Folgen?
Frauen, vor allem Alleinerziehende, sind überproportional von Armut betroffen. Die Armutsproblematik besteht nicht nur während der Erwerbsphase, sondern vor allem auch im Alter, da sich die späteren Renten in Deutschland auf das Erwerbseinkommen beziehen. Bei den Renten liegt der Unterschied zwischen den Geschlechtern sogar bei 49%. Das durchschnittliche Alterseinkommen von Frauen ist nur halb so hoch wie das von Männern. Einbezogen sind hier alle drei Säulen der Alterssicherung: Bezüge aus der gesetzlichen Versicherung, der privaten Vorsorge und der betriebliche Rente.
Die Lage wird sich in den nächsten Jahren zuspitzen, wenn die Babyboomer-Generation in Rente geht. Eine Studie der Bertelsmann Studie zur Altersarmut (2017) kommt zu dem Ergebnis, dass jeder fünfte Neurentner dieser Generation von Altersarmut bedroht ist. Bei den Frauen sieht es noch düsterer aus, so ist nahezu jede dritte alleinstehende Frau ab 2030 auf Grundsicherung angewiesen.

Wo genau liegt der Hase begraben?
Wir sehen, dass sich die Erwerbsverläufe von Frauen und Männer angleichen – bis zu dem Zeitpunkt, an dem Kinder kommen. Dein „Hase“ liegt immer noch dort begraben, wo sich Mütter statt Väter für die Reduzierung oder den zeitweisen Ausstieg entscheiden und damit berufliche und finanzielle Einbußen in Kauf nehmen. Je nach beruflicher Qualifikation, gibt es dazu Unterschiede, aber dennoch sind die Einschnitte sehr markant.Gesellschaftlich handeln Frauen da sehr klug. Ohne Familienarbeit, Ehrenamt, soziales Engagement und soziale Berufe könnten wir nicht überleben. Es gibt viele „Arbeitsbereiche“ in unserer Gesellschaft, die wichtig und sinnerfüllend sind. Erwerbsarbeit ist nicht alles, das wissen auch die Jüngeren. Aber Erwerbsarbeit bestimmt immer noch den sozialen und finanziellen Status in unserer Gesellschaft mit der Folge, dass Frauen den Preis dafür bezahlen müssen.

Was müsste sich politisch ändern?
Auch, wenn das Bild vom Alleinernährer schon lange nicht mehr gilt, setzt das Ehegattensplitting immer noch steuerliche Anreize, Frauen von mehr Erwerbsarbeit abzuhalten und in Minijobs zu drängen. Das wiederum verfestigt den Gender Pay und den Gender Pension Gap. Das Ehegattensplitting müsste abgeschafft werden.
Angesichts der Diskussion um den Fachkräftemangel bekommt die Diskussion nun auch von Seiten der Wirtschaft neuen Auftrieb, um die Erwerbstätigkeit der Frauen zu erhöhen.
Darüber hinaus brauchen wir eine Reform des Rentengesetzes. Der Normalfall – auch „Eckrentner“ genannt – der 45 Jahre „vollerwerbstätig“ war und ein „Durchschnittseinkommen“ verdient, existiert schon länger nicht mehr. Dieses Modell traf auf die Lebensrealität von vielen Frauen vor allem in Westdeutschland noch nie zu. Was die Absicherung von Frauen im Alter betrifft, liegt Deutschland   im internationalen OECD-Vergleich mit an letzter Stelle. Der Unterschied zwischen Männer- und Frauenrenten lag 2020 bei durchschnittlich 25,6%. In Deutschland ist er also doppelt so hoch! Wir sehen, dass andere Rentensysteme Frauen im Alter deutlich weniger diskriminieren. Schauen wir z.B. nach Österreich, in die Niederlanden oder nach Skandinavien sehen wir, dass Frauen dort im Alter deutlich besser abgesichert sind.

Mit dem Bündnis „Aktiv gegen Altersarmut“ versucht der kda  auch jüngere Frauen anzusprechen, um auf die Problematik hinzuweisen. Warum ist das so schwer?  
Für viele ist die Rente ja noch ganz weit weg. Außerdem gibt eine große Unsicherheit, wie es dann später überhaupt mit der gesetzlichen Rente sein wird. Diese Mischung ist sehr problematisch. Außerdem müssen viele Menschen zur Zeit aufgrund der steigenden Miet-und Energiepreise schauen, wie sie über die Runden kommen. Für private Vorsorge bleibt da wenig übrig. Und so setzt sich das Dilemma fort: Diejenigen, die es sich leisten können, sorgen privat vor. Aber denjenigen, die besonders für später vorsorgen müssten, fehlt das Geld zum Sparen.

Wo kann ein kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt da einsetzen?
Es gibt verschiedene Ansätze. Zu den politischen Fragen rund um das Thema Rente, Minijobs, gute Arbeit sind wir auch in Bündnissen aktiv. Auf Veranstaltungen oder mit Kampagnen weisen wir auf die strukturellen Defizite hin. Denn Pfandflaschen sammeln ist eben kein Rentenkonzept.
In sogenannten Spitzengesprächen der Bischöfe mit Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft bringen wir diese Themen für die Tagesordnung ein.
Auch in unserer Landeskirche gibt es viele Teilzeitbeschäftigte, insbesondere Frauen. Mit internen Fortbildungen sensibilisieren wir, sich mit dem Thema „Rente und Vorsorge“ zu beschäftigen. Das wird auch von der Landeskirche unterstützt.
Darüber hinaus motivieren wir gezielt Frauen, ihre finanziellen Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Kenntnisse über Geldanlagen und Vorsorgemöglichkeiten sind wichtige Voraussetzungen für die finanzielle Sicherheit und damit Unabhängigkeit. Wir bieten Fortbildungsmodule zum Thema „Frauen und Geld“ an.


Heike Miehe ist Referentin für Arbeit und Soziales im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN. Kontakt: h.miehe(at)zgv.info;

Das Gespräch führte Nina Golf, kda – Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt der Ev.-Luth. Kirche in Bayern