21.04.2023
Bezahlbar Wohnen

Neue Umbaukultur

„Neue Umbaukultur“ ist der Titel des Baukulturberichts 2022/23, den die Bundesstiftung Baukultur regelmäßig herausgibt (1). So unscheinbar dieser Titel erscheint, markiert er doch einen Paradigmenwechsel: Bau- und Stadtentwicklungspolitik – auch die rechtlichen Grundlagen wie das Baugesetzbuch (BauGB) – sind auf Neubau und Wachstum ausgerichtet. Doch die Herausforderungen des Klimawandels zwingen zum Umdenken. Klimaziele im Gebäudebestand sind nicht nur durch Dämmung und Wärmepumpe zu erreichen. So gehen allein 8 % der deutschen Treibhausgas-Emissionen auf die Herstellung und Entsorgung von Baumaterialien und Gebäuden zurück. Der Flächenverbrauch – die Umwidmung von unbebautem Boden in Siedlungs- und Verkehrsfläche – liegt noch immer bei 56 ha pro Tag. Durch eine Priorisierung des Bestandsumbaus gegenüber dem Neubau, aber auch die Wiedernutzung von Baumaterialien, kann nicht nur die sogenannte „graue Energie“ der Gebäude genutzt werden, sondern auch in einem erheblichen Maße Abfall und Versiegelung neuer Flächen reduziert werden.

Umbau in den Innenstädten
Spätestens seit der Corona-Pandemie wird angesichts des Rückgangs der Einzelhandelsgeschäfte vor Ort der Umbau der Innenstädte diskutiert. Auch das ZGV hat sich mit mehreren Beiträgen in diese Diskussion eingebracht. Die Stadtzentren sind bereits heute dicht bebaut. So steht häufig die Aktivierung von Leerständen und die Umnutzung von Gebäuden im Mittelpunkt der Aktivitäten. Auch bei der Zukunft geschlossener Kaufhäuser wird nur sehr selten der Abriss diskutiert, selbst wenn die Fassaden vom Charme der 1970er Jahre geprägt sind. Von Worms bis Leipzig steht in der Regel der Umbau der Kaufhäuser zu multifunktionalen Immobilien mit Geschäften, Büros, Gastronomie und Wohnungen im Mittelpunkt. Dieser Umbau ist häufig auch wirtschaftlicher als Abriss und Neubau, so dass die geforderte neue Umbaukultur in den Innenstädten auf fruchtbaren Boden trifft.  

Umbau trotz Wohnungsnot
Doch wie sieht es mit der neuen Umbaukultur beim Wohnen aus? Können die 400.000 benötigten neuen Wohnungen pro Jahr durch Umbau des Bestands geschaffen werden? Kurzfristig ist das in boomenden Ballungsräumen wie dem Rhein-Main-Gebiet sicher nicht möglich. Aber die Potenziale sind insgesamt höher als man vielleicht erwartet. Eine aktuelle Veröffentlichung des Umweltbundesamtes zeigt: Die Aufstockung bestehender Wohngebäude kann 1,1 bis 1,5 Millionen neue Wohnungen in Deutschland ermöglichen, durch Umnutzung oder Aufstockung von Nicht-Wohngebäuden könnten weitere 2,3 bis 2,7 Millionen neue Wohnungen im Bestand entstehen (2). Darüber hinaus liegt ein großes Potential in neuen kompakten und modularen Wohnungsgrundrissen, denn trotz aller diskutierten Wohnungsnot wächst die Wohnfläche pro Kopf in Deutschland immer weiter.
Auch in der Bau- und Wohnungswirtschaft ist das Thema „Umbau“ angekommen. Ein vor kurzem veröffentlichtes Positionspapier der Architektenkammer Rheinland-Pfalz gemeinsam mit der rheinland-pfälzischen Wohnungswirtschaft unter dem Titel „Nachhaltiges Wohnen: Gebäudebestand entwickeln“ (3) benennt unter anderem folgende Schwerpunkte:
-    Bestandserhalt vor Neubau
-    Lebenszyklus des Gebäudes statt Nutzungsphase betrachten
-    Systemisch und im Quartier denken statt isoliert

Was zu tun ist
Allerdings ist der Weg von Positionspapieren hin zu einer breiten Umbaukultur in der Praxis noch weit. Denn selbst wenn in Kommunen und in der Bau- und Wohnungswirtschaft Akzeptanz und Verständnis für die Bedeutung des Bestandes wachsen, sind doch viele rechtliche Instrumente und Förderprogramme auf den Neubau ausgerichtet und müssen verändert werden. Das betrifft zum Beispiel die Landesbauordnungen, die im Sinne einer „Umbauordnung“ überarbeitet werden müssen, unter anderem durch eine bisher nicht vorhandene Genehmigungspflicht für Abrisse. Auch Im Baugesetzbuch wird ein besseres Instrumentarium benötigt, um eine nachhaltige Transformation von Bestandsquartieren aktiv umsetzen zu können.
Doch ein besonders großer Handlungsbedarf besteht in der sozialen Wohnraumförderung. Die Programme sind vorrangig auf den Neubau ausgerichtet, die praktische Umsetzung häufig an städtebauliche Verträge bei der Planung neuer Quartiere gekoppelt. Nur in wenigen Bundesländern gibt es eine gezielte und flexible Förderung für den Bestandsumbau, gekoppelt an eine Mietpreis- und Belegungsbindung. Hier muss angesetzt werden, wenn die geforderte neue Umbaukultur nicht nur in ökologischer sondern auch in sozialer Hinsicht ein Erfolg werden soll.

Quellen:
(1)    https://www.bundesstiftung-baukultur.de/fileadmin/files/content/publikationen/BBK_BKB-22-23-D.pdf
(2)    https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/umwelt-klima-schuetzen-wohnraum-schaffen
(3)    https://www.diearchitekten.org/fileadmin/news/Die_Architektenkammer/Positionen/Positionspapier_-_fortlaufend.pdf