15.04.2020
Stadt- & Landentwicklung

Coronakrise: Leere Regale durch Lebensmittel-Hamsterkäufe

von: Dr. Maren Heincke, Referat Ländlicher Raum
Seit Jahrzehnten waren Nahrungsmittel gefühlt immer und überall in unzähligen Produkt-Varianten verfügbar. Eine reiche Konsumgesellschaft betrachtete die freie Auswahl unter Dutzenden an Joghurt-Varianten als Selbstverständlichkeit oder gar als grundsätzlichen Anspruch aller Bürger*innen.
Nun erzeugt der völlig ungewohnte Anblick ausgeräumter Supermarktregale Irritationen, Angst und Ärger. Bei einigen wird der Urinstinkt „Jagen, Sammeln, Horten“ geweckt. Hemmschwellen fallen bis hin zu gewalttätigen „Supermarkt-Schlachten“ um Toilettenpapier und Nudeln. Sehr viele Menschen haben Hamsterkäufe unternommen. Es ist ein schmaler Grat zwischen vernünftiger, notwendiger Lebensmittelvorratshaltung für zwei Wochen in der Coronakrise und dem gierigen Anhäufen von Lebensmitteln, die dann wegen geringer Haltbarkeit zum Teil sogar noch vergammeln werden. Das Paradoxe an der Situation: Erst das Hamsterverhalten vieler Mitbürger*innen führt geradewegs zu der von den Hamsterern zutiefst befürchteten Situation der Lieferengpässe.
Einige Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen das veränderte Einkaufsverhalten eindrucksvoll:
Der Absatz im Einzelhandel hat sich in einzelnen Märzwochen 2020 gegenüber dem Zeitraum August 2019 - Januar 2020 bei Teigwaren um bis zu 150 %, bei Mehl um bis zu 192 %, bei Reis um bis zu 208 % und bei Äpfeln um 65 % erhöht.
Spitzenreiter der Absatz-Anstiege sind jedoch nicht die Lebensmittel sondern die Hygieneartikel: Seife stieg im gleichen Vergleichszeitraum um 337 %, Toilettenpapier um 211 % und  Desinfektionsmittel eindrucksvoll gar um 751 %.
Es könnte sein, dass die Zeiten des deutschen Schlaraffenlandes vorbei sind. Im Jahr 2019 gaben deutsche Haushalte nur noch rund 14 Prozent der gesamten Konsumausgaben für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren aus. Rein auf Lebensmittel entfielen ca. 10 %. Zum Vergleich: in Rumänien beträgt der Konsumanteil für Nahrung 30 %.
Durch die Corona-Krise werden jetzt die globale Produktion, der Transport und die Verarbeitung von Lebensmitteln massiv erschwert. Besonders bei Waren, bei denen Deutschland einen niedrigen Selbstversorgungsgrad besitzt und welche deshalb stark importiert werden müssen, ist mit größeren Preisanstiegen zu rechnen. Dazu gehören insbesondere Obst und Gemüse, welche jedoch gerade für eine gesunde Ernährung von herausragender Bedeutung sind.
Da bisher ungefähr ein Drittel der produzierten Lebensmittel in Deutschland im Müll landeten, ist zu vermuten, dass die höheren Lebensmittelpreise zu einer höheren Wertschätzung und damit zu niedrigeren Verschwendungsraten beitragen werden.
Wirklich problematisch ist die jetzige Versorgungssituation für Menschen mit sehr geringem Einkommen. Sie geben normalerweise  etwa ein Drittel ihres Haushaltsbudgets für Essen aus.
Viele Tafeln haben jedoch aktuell ihre Angebote stark zurückfahren oder ganz beenden müssen. Es mangelt an Lebensmittelspenden. Und vor allem an den vielen oft älteren ehrenamtlichen Helfern, die zur Corona-Risikogruppe zählen.
Das Aussetzen des Schul- und Kita-Betriebs bedeutet für Kinder aus einkommensschwachen, problematischen Familien oft, dass mit der Schulspeisung auch die einzige tägliche warme Mahlzeit samt Tischgemeinschaft wegfällt.
Angesichts dieser krisenhaften Entwicklung haben sich erfreulicherweise sehr schnell große Netze an ehrenamtlicher Nachbarschaftshilfe gebildet, die Lebensmitteleinkäufe für andere übernehmen. Außerdem boomen gewerbliche Lebensmittel-Lieferdienste und aufgrund des Wegfalls der berufsbezogenen Gemeinschaftsverpflegungen kochen derzeit sehr viele Menschen zuhause - eine Chance, seine Koch- und Haushaltsfähigkeiten gemeinsame mit den Kindern gezielt auszubauen.
In der Corona-Krise wird vielen ansatzweise wieder die alte Kriegsweisheit bewusst: Geld kann man nicht essen!

Quelle:
Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes zum Kaufverhalten im Einzelhandel anlässlich der Corona-Krise, Nr. 112 vom 25. März 2020
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/03/PD20_112_61.html;jsessionid=3DB50C16AC4336D3FEA538A61AA8DA88.internet8742