01.07.2019
Zentrum

Neue Verkehrskonzepte müssen her

Während man vor 10 Jahren noch von der Gleichrangigkeit zwischen Ökologie, Ökonomie und Sozialem in der Nachhaltigkeitsdebatte ausging, zeigen Untersuchungen des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie heute, dass die Sicherung der ökologischen Grundlagen sachlogisch die Basis für die ökonomischen und sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit darstellt und daher im Vordergrund zu stehen hat.
Auch die Verkehrspolitik muss dieser Einsicht gerecht werden und ihren Beitrag zur Sicherung der ökologischen Grundlagen unseres Zusammenlebens leisten, in den dann die ökonomischen und sozialen Belange integriert werden müssen. Umdenken ist gefragt.
Das Forum Kirche, Wirtschaft, Arbeitswelt beschäftigte sich am 26. Juni 2019 im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN in Mainz mit Voraussetzungen und Beispielen für Nachhaltige Mobilitätskonzepte. Der Verkehrswissenschaftler Prof. Heiner Monheim schritt in seinem Eröffnungsvortrag den weiten Horizont der Fragen und Probleme ab, die bei der Bearbeitung der anstehenden Maßnahmen in Richtung nachhaltiger Mobilität in den Blick zu fassen sind, während nachmittags vier Workshops die Gelegenheit boten, aktuelle Beispiele solcher Umsetzungen kennen zu lernen.

Blick in die Vergangenheit

Im Jahr 1920 gab es in Deutschland ein breit gefächertes und dichtes Bahnnetz. Fast jeder Ort war an das Schienennetz angebunden. Bis in die 50-ger Jahre war das Fahrrad das übliche Verkehrsmittel und in vielen Städten fuhren Straßenbahnen. Die durchschnittliche Geschwindigkeit der Autos betrug zwischen 60 und 80 Kilometer in der Stunde und sie wurden hauptsächlich für Urlaubsfahrten oder schwerere Besorgungen genutzt.  Das änderte sich in den 60-ger Jahren durch die Massenmotorisierung. Autos wurden für jeden erschwinglich. Als Folge stieg das Autoaufkommen und die bisher vorhandenen Straßen konnten den Verkehr nicht mehr bewältigen. Da die Politik auf das Auto zum Verkehrsmittel der Zukunft erkoren hatte, wurden in der Folge überall Häuser abgerissen, Bäume gefällt und ungeheure Summen in den Straßenbau investiert, während andere Verkehrsmittel in den Hintergrund traten – und bis heute sogar als Gegenstand der Forschungsförderung nur noch von untergeordnetem Interesse sind. Die Passagierzahlen im öffentlichen Personennahverkehr haben sich dramatisch reduziert, das Schienennetz ist ausgedünnt und an zahlreichen Stellen so marode, dass die kleinste Störung zum Kollaps führt. An vielen Orten gibt es heute keine praktikable Alternative mehr zum Auto, selbst wenn man gerne darauf verzichten würde.
Laut Monheim hat bei politisch Verantwortlichen bis heute kein Umdenken stattgefunden. Immer noch würden die vorhandenen Ressourcen eher in ein neues Parkhaus investiert werden, als beispielsweise in den Ausbau des Busverkehrs.

Nachhaltige Mobilität für die Zukunft

Die Zukunft kann mit Blick auf den Primat der Ökologie nach Monheim nur darin liegen, den Individual- und Güterverkehr auf der Straße deutlich zu reduzieren. Dazu müsse das Schienennetz erheblich ausgebaut werden, um dieser Aufgabe gewachsen zu sein.
Auch der öffentliche Personennahverkehr könne durch Ausbau, mehr Haltestellen und höhere Taktung auch am Wochenende attraktiver werden. Dafür würden aber neben den vor allem auf den Transport von großen Schülerzahlen zugeschnittenen Gelenkbussen sogenannte Midibusse benötigt. Um den Umstieg vom Auto auf den ÖPNV zu unterstützen und attraktiv zu machen, könnte man - vergleichbar den Semestertickets für Studentinnen und Studenten - ein allgemeines Bürgerticket einführen.
Für das stärker werdende Fahrradaufkommen sollten Fahrradstraßen parallel zu Autostraßen eingerichtet werden. Dann würden sich auch die sogenannten Sonntagsfahrradfahrer sicherer fühlen und häufiger vom Auto auf das Fahrrad umsteigen.
Vorbildlich findet Monheim die Akkutauschstationen in Taiwan. Für Elektroautos gibt es „Tankstellen“, an denen man den leeren Akku abgeben und sich einen neuen gleich mitnehmen kann. Das funktioniert, weil alle Autos das gleiche Akkusystem haben und nicht jeder Autohersteller ein eigenes entwickelt.  
Des Weiteren schlägt er ein Tempolimit in Städten und auf Autobahnen vor. Tempolimits seien die besten Stauvermeider.
Auch die Kirchen könnten etwas für die Verkehrswende tun. Monheim schlägt ihnen vor, von ihrer Marktmacht Gebrauch zu machen. Schließlich hätten sie mehr Beschäftigte als die Autoindustrie. Dazu müssten sie mit der Bahn Sonderkonditionen für ein Kontingent von mehreren Millionen Bahncards 100 aushandeln und diese an ihre Mitarbeiter oder an alle Kirchenmitglieder verkaufen. Das würde den Druck auf die politisch Verantwortlichen erhöhen.

Beispiele vor Ort

Im Anschluss an den Vortrag von Prof. Monheim informierten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Workshops über Umsetzungsmaßnahmen.
Der Umwelt- und Verkehrsdezernent der Stadt Wiesbaden Andreas Kowol berichtete über die Anstrengungen zur Verhinderung des Dieselfahrverbot in Wiesbaden. Innerhalb kürzester Zeit mussten Maßnahmen beschlossen und umgesetzt werden, was zu erheblichen Belastungen bei den kommunal Beschäftigten führte.
Die Initiatoren des BürgerMobils in Höhr-Grenzhausen zeigten, wie man in einer Kommune auch ältere oder in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen mit viel ehrenamtlichem Engagement eine gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen kann.
Mit Petra Scheller von DB-Cargo Schienenlogistik wurden die Möglichkeiten einer Verkehrswende im Logistikbereich ausgelotet und Henning Rook von der memo AG beschrieb Maßnahmen, um Mitarbeitenden eine nachhaltige Mobilität zu ermöglichen. Margit Befurt, zgv