08.04.2020
Zentrum

Coronakrise: „Lasst eure Bitte in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden.“

Beten im Angesicht des Virus-Monsters – eine Besinnung

von: Oberkirchenrat Pfarrer Christian Schwindt, Leiter des ZGV

Was können wir angesichts einer krisenhaften Weltlage sagen, die keiner vor einem Jahr, ja vor wenigen Monaten, hat kommen sehen. Noch vor kurzem standen die Klimakrise, der unschöne Flirt mit der AfD in Thüringen und die türkische Flüchtlingspolitik im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Jetzt hat die Corona-Pandemie zu einem weitgehenden Stillstand des öffentlichen Lebens geführt, auch in den Kirchen. Und für die meisten von uns ist es das erste Mal, dass eine Viruserkrankung nicht nur das individuelle Leben beeinträchtigt, sondern auch als existentielle, kollektive Bedrohung erfahren wird.

Angesichts dieser allgemeinen und komplexen Bedrohungslage rückt eine alte religiöse Praxis ins Zentrum, die - von manchen belächelt, anderen ignoriert -  viele Anlässe und Inhalte hat, aber auch gefährliche Missverständnisse, ja, Auswüchse, kennt. Gemeint ist die Praxis des Gebets!
Ja, was hat es mit dem Beten auf sich? Gerade jetzt Angesichts von Sorge und Bedrohung?

Paulus – ein Wort aus der Vergangenheit

Im Brief des Apostel Paulus an die Philipper ist dazu ein erstaunlicher Satz zu lesen:  
"Sorget euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitte in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden!".
Paulus schreibt diesen Satz aus dem Gefängnis. Warum Paulus ins Gefängnis gekommen ist, ist nicht bekannt. Aber es ist bekannt, dass er während der Abfassung dieser Zeilen im Gefängnis in Ephesus saß.
Ein erstaunlicher Satz, für einen Menschen der im Gefängnis sitzt, sich also selbst in bedrohlicher Lage befindet. Ein Satz, der durchaus das Potential hat, zu irritieren.

Textkauen

Manche Sätze muss man wie eine harte Kruste kauen, um sie zu verdauen. Bei diesem Satz ist das so! Denn wer kann sagen, dass er das tut: sich um nichts sorge[n]. Gerade jetzt angesichts des Corona-Virus sorgen wir uns um vieles: um unsere nächsten Angehörigen, um unsere Eltern und Kinder, um Freunde, um uns. Aber auch um Menschen, die systemrelevant eingesetzt sind – der Gefahr der Ansteckung unmittelbar ausgesetzt: Menschen an den Kassen der Supermärke, in den Altenheimen, Pflegestationen und Krankenhäusern. Wir sorgen uns natürlich auch um die Wirtschaft, um unsere Kirche und um die Zukunft. Was wird wohl werden …? Wir sorgen uns gegenwärtig um so viel, manchmal sogar um mehr, als wir tragen können. Das zeigt der auch unbegreifliche Tod des hessischen Finanzministers Thomas Schäfer. Beten statt sorgen?

Beten statt Handeln?

Die Irritation des Pauluswortes verschärft sich sogar noch: sich nicht nur nicht sorgen, sondern "… in allen Dingen lasst eure Bitte in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden!", das empfiehlt nun allen Ernstes Paulus auch noch.
Beten und Handel! Auf dieses Arrangement mögen wir uns schon lieber einlassen! Denn immerhin scheinen Beten und Handeln besser als Beten statt Handeln. Gerade jetzt! Gerade jetzt ist ja vernünftiges Handeln angezeigt, ob im Krisenmanagement der Bundesregierung, in den Betrieben und Organisationen. Oder in den Sozialräumen vor Ort, in den Krankhäusern, Pflegeheimen oder in der Nachbarschaft, wenn für die eingekauft wird, die aus Gründen der Gefährdung nicht raus können. Es stimmt jedenfalls hoffnungsvoll, dass unsere Parteiendemokratie auch „schnell“ kann, sich auf das Wesentliche konzentriert und sich handlungsbereit zeigt, wenn es darauf ankommt. Gerade jetzt in dieser bedrückenden Krise!

Und so ist „Beten satt Handeln“ auch eine wahrlich blödsinnige Alternative! Bertold Brecht hat das ganz offensichtlich auch so gesehen. In seiner Erzählung 'Mutter Courage' ist das literarisch eindrücklich festgehalten. Die stumme Katrin, die sich selbst aufgegeben hat, handelte. Eine Stadt wurde mit ihrem Trommeln gerettet, während ihre Familie, sich selbst bewahrend, nur betete.

Beten und Handeln? Ja, und Nein!

Beten und Handeln - Fatal ist es auch, wenn das 'und' zur Trennung führt. Das hat es ja durchaus gegeben - und darin stecken die Hypotheken, mit denen das Beten bist heute belastet ist. Beten und dann in den Kampf ziehen; die Hände eben noch zum Gebet gefaltet und schon zu den Waffen eilen. Gerade noch das Tischgebet gesprochen und dann die Frau oder das Kind verprügelt. Beten und Handeln, Handeln und Beten, da weiß die Linke wirklich nicht was die Rechte tut.

Vieles hat sich ans Beten geheftet, was nicht ins und zum Beten gehört. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer hat darum das "und" von seiner schillernden Zweideutigkeit zu lösen versucht. Er hat "vom Beten und vom Tun des Gerechten" gesprochen. Er wollte Beten und Handeln nicht auseinanderhalten, sondern positiv zusammendenken.
Noch deutlicher aber hat der Reformator Martin Luther Beten und Handeln zusammengebracht. Nichts, was der Glaube tut, ist außerhalb des Betens, denn sagt Luther: "Was ist der Glaube anderes als eitel Gebet?“ Nicht dann und wann beten, sondern die Existenz im Glauben selbst ist Gebet - da ist keine Trennung mehr. Nicht mehr beten und handeln, sondern betend handeln, als Betende handeln.

Was sollen wir beten?

Was aber meint dann Beten? Betend handeln - wie geht das zusammen, ohne dass das eine das andere ersetzt? Wie sollen wir beten und was? Das nicht zu wissen, nicht zu können, ratlos zu sein, ist vielleicht der Anfang des Betens. Und nichts trennt uns mehr von denen, die ratlos darüber sind, dass und wie wir Christ*innen beten.  Schon die Jünger Jesu wussten es nicht und Paulus auch nicht: "Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen … ", schreibt Paulus im Römerbrief (Röm. 8, 26). Je tiefer wir ins Beten dringen, desto ratloser werden wir - betend werden wir unserer Ratlosigkeit inne. Ratlos seufzend, beten wir schon. Indem wir aber ratlos vor dem Beten stehen, sind wir schon im Beten. Beten ist in erfahrener Krise zuerst und zutiefst Seufzen - wenn nötig Flehen und Klagen, ja Schreien: Warum?

Hören gegen das Verstummen

Noch eine Zumutung des Paulus: … mit Danksagung soll man beten. Danken? Wofür? Wem? Danken ist eine Antwort. Sie reagiert auf eine Anrede, die zuvor an ihn gerichtet ist. Wer dankt, der hat zuvor gehört. Danken heißt, daran denken, was uns gesagt worden ist. Etwa: "Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein" (Jes. 43,1), „Siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen" (Jes. 65,17), oder die „Liebe Gottes ist stärker als alles Leid und jeder noch so schreckliche Tod“. Im Danken geben wir nicht den gegebenen Verhältnissen recht, sondern der uns gegebenen Verheißung. Auch das gehört wohl zum Beten: in der Ratlosigkeit beginnen zu hören: Hören, was uns gesagt ist, was uns hoffnungsstiftend zugesagt ist.  Beten hilft somit, daß uns nicht Hören und Sehen vergeht. Und vielleicht löst sich dann das Gebet von allzu vollmundiger Beredsamkeit. "Je weniger Worte" sagt Luther, „desto besser Gebet; je mehr Wort, desto schlechter Gebet." Drohend mag die Gefahr des Verstummens Angesichts von Sorgen und Bedrohung sein, doch in der Ratlosigkeit lernen zu hören, auf das was uns gesagt ist, heißt auch hoffnungsstiftende Worte finden, Worte, die uns in unserer Ratlosigkeit Angesichts von Bedrohung, Sorge oder Leid nicht sprachlos werden lassen.