Perspektiefe 60, September 2023

„Planetary Health“ im Anthropozän

Schutz von Gesundheit und Wohlergehen für Men­schen, Tiere und Ökosysteme

HINTERGRUND: Menschen teilen ihr verletzliches Leben mit allem anderen Leben auf der Erde – ein riesiges, hochkomplexes Netzwerk aus Lebewesen und lebendigen Beziehungen. Im Zeitalter des Anthro­pozäns bekommt dieses tragende Netz zunehmend Lücken und verliert an Stabilität und Schwingungs­fähigkeit. Aufgrund komplexer Wechsel­wirkungen zwischen geschädigten Öko­systemen können destruktive Dominoeffekte auftreten. 

von: Dr. Maren Heincke, Referat Stadt- und Landentwicklung des ZGV, m.heincke@zgv.info


Als Folge davon ist der Mensch nicht mehr – wie vormals rein anthropozentrisch gedacht – als „Krone der Schöpfung“ anzusehen, sondern stärker als ein Bestandteil der Natur. Elementar angewiesen auf andere Lebewesen und abiotische Ressourcen wie sauberes Wasser, saubere Böden und Luft. Schädigt der Mensch durch seine Aktivitäten die Umwelt, schädigt er ganz direkt auch sich persönlich.

Neues Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt

Über viele Jahrzehnte hinweg hat sich die globale Gesundheitslage aufgrund des medizinischen Fort­schritts und einer insgesamt verbesserten Er­näh­rungs- und Hygienesituation stark verbessert. Die Kinder- und Müttersterblichkeit sank rapidee – auch in Entwicklungs- und Schwellen­ländern. Die durch­schnittliche Lebenserwartung stieg kontinuierlich an. Die Weltbevölkerung wuchs von 3 Mil­liarden im Jahr 1960 auf heute 8 Milliarden Men­schen an – überwiegend in den Ländern des Südens. Bis 2050 erwartet die UN 9,7 Milliarden Erdbewohner. Der zunehmende internationale Wohlstand wurde jedoch in Teilen durch die Übernutzung der natürlichen Ressourcen erkauft. In Krisenstaaten sowie bei vulnerablen Gruppen führt oft Armut zu massiven Umweltschäden. Heute bedrohen die akkumulierten Umweltrisiken teilweise Gesundheit und zivilisatorische Erfolge. Im Jahr 2022 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen deshalb den Zugang zu siche­rer, sauberer, gesunder und nachhaltiger Umwelt als neues universelles Menschenrecht anerkannt. Dahinter steht die Entwicklung, Menschen­rechts­schutz und Umweltschutz zunehmend als in gegenseitiger Abhängigkeit stehend zu verstehen. Regenwaldschutz und Schutz indigener Völ­ker gehören in Südamerika z. B. eng zusammen. Innerhalb der Vereinten Nationen arbeiten WHO, FAO, UNEP und WOAH gemeinsam an einem „Planetary-Health-Ansatz“.

Der „One-Health-Ansatz“

Seit 2015 werden auf der internationalen Ebene der sogenannte „Planetary-Health-Ansatz“ bzw. der inhaltlich verwandte „One-Health-Ansatz“ inter- und transdisziplinär zwischen Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaften diskutiert. Beide An­sätze stehen für eine systematische wissenschaftliche Herangehensweise. Die komplexen Zusam­menhänge zwischen den Bereichen Umwelt und menschliche Gesundheit werden analysiert und ganzheitliche Problemlösungen entwickelt. Beim „One-Health-Ansatz“ ist die Grund­an­nahme, dass die Gesundheit der Menschheit, der Tier- und Pflanzenwelt sowie der Umwelt fundamental gegenseitig voneinander abhängen. Ein Fokus liegt auf ansteckenden Krankheiten und somit auf den Schnittstellen zwischen Human-, Veterinär- und präventiver Umweltmedizin. In­halt­liche Beispiele sind die Themenkomplexe Zoo­nosen, antimikrobielle Resistenzen sowie Le­bens­mittelsicherheit. 

„Beim ‚One-Health-Ansatz‘ ist die Grund­an­nahme, dass die Ge­sundheit der Mensch­heit, der Tier- und Pflanzenwelt sowie der Umwelt funda­men­tal gegenseitig vonein­an­der abhängen.“

Dr. Maren Heincke

Zoonosen

Durch die COVID-19-Pandemie gerieten die steigenden internationalen Risiken von Zoonosen – dem Übertragen von infektiösen Tierkrankheiten auf den Menschen – verstärkt ins politische und öffentliche Bewusstsein. Quellen für Zoonosen können sowohl Wildtier- als auch Nutztierbestände sein. Die Über­tra­gungs­­risiken für (neue) Zoonosen steigen aufgrund von häufigeren Kontaktflächen zwischen Menschen und Wildtieren. Beispielsweise bei illegalem Wild­tierhandel oder dem fortgesetzten Eindringen des Menschen in die letzten unberührten Natur­reser­vate der Erde. Werden in großen Beständen an Schweinen und Geflügel wichtige Standards der Tierhygiene und -gesundheit nicht eingehalten, erhöht sich ebenso die Gefahr von Zoonosen. Ungefähr zwei Drittel aller neuartigen infektiösen Krankheiten des Menschen stammen heute aus der Tierwelt. Beispiele für altbekannte Zoo­nosen sind Tollwut, Pest, Tuberkulose, Salmo­nel­len. Neuere Zoonosen sind BSE, Schweinegrippe, Affenpocken, Vogelgrippe. Umgekehrt kann auch der Mensch aufgrund der engen Verwandtschaftsverhältnisse infektiöse Erkrankungen auf Tiere übertragen – z. B. den Menschenschnupfen auf Schimpansen.  

Antimikrobielle Resistenzen

International werden übermäßig viele Antibiotika unprofessionell eingesetzt – sowohl in der Human­medizin als auch in der Tiermedizin. Dadurch entstehen vermehrt antimikrobielle Resistenzen, welche in der EU zu den drei größten Gesund­heitsgefahren zählen.
Besonders bedrohlich ist, dass nach wie vor – wider besseren Wissens – Reserveantibiotika in der Tierhaltung benutzt werden. Reserveanti­bio­tika sollen eigentlich schwerstkranken Menschen, welche andere Antibiotikaresistenzen aufweisen, zwecks Lebensrettung vorbehalten sein. Zusätzlich können falsch entsorgte Antibiotika und sonstige Medikamente schwere ökologische Schäden in Gewässern, Grundwasser und Böden verursachen. Ökotoxikologische Untersuchungen zeigen, dass bereits Mikroverunreinigungen Ge­sundheitsschädigungen bei Algen, Amphibien und Fischen verursachen können.

Der „Planetary-Health-Ansatz“

Die Idee „Planetary Health“ problematisiert die Verbindung zwischen menschlicher und planetarer Gesundheit und geht von der Existenz einer „globalen Gemeinschaft“ aus. Der „Planetary-Health-Ansatz“ baut auf dem Konzept der „planetaren Belastungsgrenzen“ auf. Laut diesem Konzept sollen neun einzelne Sys­teme die Stabilität des gesamten Erdsystems gewährleisten. Aktuell werden die planetaren Belas­tungsgrenzen in Bezug auf genetische Vielfalt, biogeochemische Stoffflüsse von Stickstoff und Phosphor, Umweltverschmutzung durch „neuartige Stoffe“, Klimawandel und Landnutzungs­änderung überschritten. Neben der Problematisierung der engen Ver­bin­dung von Umwelt- und Gesundheitsrisiken – einschließlich nicht übertragbare Krankheiten – werden beim „Planetary-Health-Ansatz“ intra- und intergenerationelle Gerechtigkeitsaspekte zentral thematisiert. Hypothese ist, dass bei einer katastrophalen und irreversiblen Destabilisierung der natürlichen Erdsysteme massive Schädigungen der politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Humansysteme entstehen würden.

Negative Gesundheitsfolgen des Klimawandels

Beispiele für die negativen Gesundheitsaus­wir­kungen des anthropogenen Klimawandels sind die Zunahme der Hitzetoten und die Ausbreitung von neuen Infektionskrankheiten über wärme­liebende Insekten. Extremereignisse wie Stürme und Hochwasser können zudem die Public-Health-Systeme überfordern sowie zu starken sozialen und psychischen Belastungen führen. Ressour­cenkonflikte um Wasser, fruchtbare Böden etc. destabilisieren Gesellschaften.

Negative Gesundheitsfolgen von Umweltkontaminationen

Die menschliche Gesundheit hängt u. a. über die Nahrungsnetze direkt von der Umwelt ab. Seit mehreren Jahrzehnten findet eine unbeabsichtigte globale Verteilung von Schadstoffen, persistenten Chemikalien und Mikroplastik in terrestrischen und maritimen Ökosystemen statt.
Diese Umwelt­kontaminationen fallen direkt lebenshem­mend auf den Menschen zurück. So schätzt die WHO, dass weltweit 24 % aller Todes­fälle in Zusammenhang mit Umweltverschmut­­zungen stehen. Die Gegen­strategie heißt „Zero Pollution“. Über Bioabfallkomposte wird z. B. Mikroplastik großflächig auf die Landwirtschaftsböden ausgebracht. Über die Wurzeln nehmen die Kultur­pflanzen Mikroplastik mit auf. Anschließend gelangt es über die Nahrung in den menschlichen Körper. Eventuelle Gesundheitsfolgen davon sind noch unklar – die Anwendung des Vorsorge­prin­zips wäre sinnvoll.