Perspektiefe 38, November 2015

"Ein deutliches Minus an weltweiten Emissionen wäre schon ein Erfolg"

INTERVIEW: Im Dezember 2015 treffen sich 195 Staaten zum UN-Weltklimagipfel in Paris. Die beiden wichtigsten Ziele sind die Reduktion des Treibhausgases CO2 und ein geringerer Verbrauch von fossilen Brennstoffen. Werden die Staaten zu Verabredungen kommen? Prof. Dr. Anita Engels von der Universität Hamburg beantwortet die Fragen der Redaktion.

Was erwarten Sie sich von der Weltklimakonferenz in Paris? Engels: Ich habe ehrlich gesagt an keine einzige Weltklimakonferenz besonders hohe Erwartungen, weil jede von ihnen nur ein kurzer Moment in einem sehr langfristigen Verhandlungsprozess sein kann. Das hängt zum einen mit der wirklich schwierigen Ausgangssituation zusammen, in der wir uns im Hinblick auf den Klimawandel befinden. Dass wir Treibhausgase ausstoßen, ist leider nicht so einfach abzustellen. Unsere CO2-Emissionen sind bisher ganz eng mit der Art und Weise verknüpft, wie wir unseren Wohlstand erzeugen. Wir leben derzeit noch in einer Welt, in der fossile Treibstoffe die wichtigsten Energieträger sind. Das gilt sowohl für den direkten Stromverbrauch als auch für das Heizen und die Art, wie wir uns fortbewegen. Man spricht in den Sozialwissenschaften auch von einem institutionellen Lock-In, also dem Zustand des Eingeschlossenseins in verkrustete Strukturen, die für die Bewältigung neuer Herausforderungen nicht mehr geeignet sind.
Neben dieser schwierigen Ausgangssituation sind aber auch die Verhandlungen selbst sehr schwierig, denn wir haben ja keine Weltregierung, die auf der Grundlage politischer Mehrheiten Gesetze erlassen kann, die für alle Staaten Gültigkeit haben. Die Klimaverhandlungen finden im Rahmen der Vereinten Nationen statt, in dem jeder Staat eine Stimme hat und das Zustandekommen von völkerrechtlich verbindlichen Klimaschutz-Vereinbarungen von einem globalen Konsens abhängt. Ein Konsens ist aber schon in kleinen Gruppen oft schwierig zu erreichen. Wie soll es zu einem wirklichen Durchbruch in den Klimaverhandlungen kommen, wenn sich dazu Staaten einigen müssen, die sich in anderen Zusammenhängen feindlich gegenüberstehen und die auch sehr unterschiedliche Interessenlagen haben? Die Verhandlungspartner unterscheiden sich dramatisch im Hinblick auf ihren bisherigen Beitrag zum Klimawandel und auf die zu erwartende Betroffenheit von negativen Folgen des Klimawandels.
Auch gibt es unterschiedliche gesellschaftliche Bereitschaften und auch Möglichkeiten, sich von einem hohen CO2-Ausstoß wirklich zu verabschieden, je nachdem, ob es sich um einkommensschwache Entwicklungsländer, aufstrebende Schwellenländer oder wohlhabende Industrieländer handelt. Mit schnellen bahnbrechenden Erfolgen der Weltklimapolitik ist also gar nicht zu rechnen. Allerdings ist jedes Jahr die spezifische Konstellation, in der sich die Weltgemeinschaft befindet, eine andere. In diesem Jahr deute ich diese Konstellation als eher förderlich für einen Fortschritt in den Verhandlungen. Was waren in der Vorbereitung Punkte, die Ihrer Ansicht nach, Aussicht auf Erfolg versprechen? Wo sehen Sie die besonderen Herausforderungen? Engels: Erfolgversprechend ist auf jeden Fall, dass eine andere Verhandlungslogik eingeschlagen wird. In der Vergangenheit ist sehr stark nach verschiedenen Ländergruppen unterschieden worden. Insbesondere die großen Schwellenländer China und Indien haben es kategorisch abgelehnt, einen Beitrag zur Senkung von Emissionen zu leisten, während die reichen Industrieländer in der Phase des Aufbaus ihres eigenen Wohlstands ungestört CO2 ausstoßen durften. Das ist zwar ein historisch sehr berechtigtes Argument, aber es hat regelmäßig zu einer wechselseitigen Blockadehaltung geführt. China ist durch sein explosionsartiges Wachstum in den vergangenen Jahren sogar zum weltweit größten Emittenten geworden, zumindest wenn man von absoluten nationalen Emissionen ausgeht. Und viele andere Entwicklungs- und Schwellenländer haben ebenfalls „aufgeholt“.
Ein wirklicher Einschnitt in den Emissionen ist daher nur möglich, wenn sich alle größeren Staaten darauf einigen, in Zukunft weniger Treibhausgase zu emittieren. In diesem Jahr wurden alle Vertragsstaaten aufgefordert, ihre Bereitschaft zu einem eigenen Beitrag zu erklären, und 146 Staaten haben das bereits getan. Das ist ein sehr positives Signal und verhindert die bisherigen Blockierungen. Es bleibt jedoch die Herausforderung bestehen, dass auch durch diese Bemühungen zusammengenommen das erklärte Ziel der UN nicht erreicht werden kann. Das Ziel ist, die globale Erderwärmung auf eine Erhöhung um maximal 2 Grad zu begrenzen und dadurch gefährliche Folgen für die Gesellschaft abzuwenden. Welche Rolle können deutsche Akteure bei den Verhandlungen spielen? Engels: Bei den Klimaverhandlungen spricht nicht Deutschland für sich allein, sondern die Verhandlungen werden im Rahmen der Europäischen Union geführt. In der EU hat die Stimme Deutschlands aber ein großes Gewicht, so dass der glaubhafte Einsatz für ehrgeizige Klimaziele nicht wirkungslos bliebe. Deutschland ist für die anderen Akteure in der Weltklimapolitik aber auch noch aus dem Grund interessant, weil wir hier das Experiment Energiewende durchführen. Wir stehen deshalb international unter genauer Beobachtung.
Wenn es tatsächlich gelingt, in wenigen Jahrzehnten die Energieversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen, ohne dass dabei Wohlstandsverluste in Kauf genommen werden müssen, wird das eine große Sogwirkung auf viele andere Staaten ausüben. Damit meine ich nicht, dass Deutschland sich als Lehrmeister vor die Staatengemeinschaft stellen sollte, damit andere von uns lernen. Das wäre nicht nur deshalb unangemessen, weil wir die Energiewende noch gar nicht geschafft haben. Aber man kann sehr wohl im Kontext von Klimaverhandlungen darüber berichten, welche Schritte leicht zu erreichen sind und wo für die Energiewende noch große Hürden bestehen bleiben.
Die Ernsthaftigkeit eines solchen Versuchs findet große Beachtung. Viele Staaten fänden eine Energiewende sehr erstrebenswert, unter anderem weil sie die Abhängigkeit von Energieimporten minimiert und neben den Treibhausgasen viele andere schädliche Emissionen reduziert. Aber die meisten bezweifeln, dass der Übergang zu einem regenerativen Energiemix ohne überwältigende gesellschaftliche Kosten zu erreichen ist. Sollte die Energiewende gelingen, hätte das eine enorme Überzeugungskraft. Wann ist Paris für Sie ein Erfolg und warum ist ein Erfolg so wichtig? Engels: Die Verhandlungen in Paris wären für mich ein Erfolg, wenn es gelänge, die bisherigen Zusagen der einzelnen Staaten noch ein bisschen anspruchsvoller zu machen. Es kommt mir im Moment nicht so sehr darauf an, das Ziel schnell zu erreichen, sondern dass die Entwicklung in die richtige Richtung zeigt, also ein deutliches Minus an weltweiten Emissionen. Denn trotz aller Verhandlungen ist das bisher nicht gelungen. Außerdem wäre es wichtig, wenn finanzielle Ausgleichsmechanismen gestärkt würden, die den vom Klimawandel betroffenen Ländern eine Absicherung gegen Schäden ermöglicht. Wir müssen dringend einüben, wie man sich in der Staatengemeinschaft gegenseitig beisteht und unterstützt. Das ist nicht nur in der Klimapolitik wichtig, wie man angesichts der gegenwärtigen Flüchtlingssituation sehr gut nachvollziehen kann.