Perspektiefe 34, September 2014

Die Gemeinde Lautertal geht neue Wege

BEISPIEL

Bei der Abwasserentsorgung kann es nicht nur um die Einhaltung von Grenzwerten und die Erhöhung von Stand­ards gehen. Vielmehr müssen auch Schäden durch und Nutzen von Maßnahmen für die Natur abgewogen werden.

von: Heiko Stock, Bürgermeister der Gemeinde Lautertal im Vogelsberg in Hessen

„Bislang geht es nur darum, Grenzwerte ein­zuhalten. Es wird nicht im erforderlichen Maße nach Alternativen Aus­schau gehalten, die möglicherweise ressour­censchonender und kostengünstiger sind.“ 
Heiko Stock



Ausgangslage: 

Die Gemeinde Lautertal mit ihren 2.500 Ein­woh­nern ist, wie der Vogels­berg­kreis, von der demografischen Entwicklung besonders betroffen. 
Obwohl diese Entwicklung bundesweit schon lange absehbar war, hat man bislang noch kein Konzept für eine Anpassung der technischen In­frastruktur gefunden. Eine Gesellschaft, die ausschließlich auf Wachstum ausgerichtet ist, muss sich mit einer entsprechenden Fragestellung zwangsläufig schwer tun.
In der Gemeinde Lautertal mussten wir uns im Jahr 2007 aufgrund landesrechtlicher Vorgaben sehr intensiv mit der Kanalsanierung befassen. Gleichzeitig drängte das Land Hessen darauf, dass deutlich weniger Regenwasser in die Klär­anlagen eingeleitet wird. Insgesamt stand eine Investitionssumme von rund 12 Mio. Euro im Raum – und dies bei der genannten Einwohnerzahl.
Mit einer Abwassergebühr von 6,00 Euro pro Kubikmeter Frischwasserverbrauch und der Er­hebung eines Abwassererneuerungsbeitrages fragte die Bevölkerung zu Recht, wohin die Kosten noch steigen werden.

Finanzielle und rechtliche Rahmen­bedin­gungen: 

Die Abwasserbeseitigung ist geprägt durch einen hohen Fixkostenanteil. Der Klärwärter muss beispielsweise die Kläranlage überprüfen und Pro­ben nehmen, unabhängig von der Menge des Abwassers. 
Durch höhere Kosten wird letztendlich der Weg­­zug aus der Gemeinde noch verstärkt. Wenn ein­zelne Häuser leer stehen, kann man nicht die ge­samte Straße vom Kanalnetz abklemmen. 
Auf­grund der großen Siedlungsfläche und der geringeren Bevölkerung ist die Kanallänge je Ein­woh­ner deutlich höher als im Bundesdurchschnitt. Durch neue Grenz­werte sind die Kläranlagen nachzurüsten.
Aktueller Diskussionspunkt ist die Dünge­mittel­verordnung. Die Grenzwerte werden ab 2015 so verschärft, dass kein Klärschlamm mehr in der Landwirtschaft ausgebracht werden kann. 
Häufig liegen die Kommunen im Bereich von Schutzgebieten, z. B. Wasserschutzgebieten mit der Wasserförderung bis ins Rhein-Main-Gebiet, so dass die Anforderungen an die Abwasser­beseitigung weiter steigen.

Ausblick: 

Meines Erachtens müssen neue Denkansätze gewählt werden. Bislang geht es nur darum, Grenz­werte einzuhalten. Es wird nicht im erforderlichen Maße nach Alternativen Aus­schau gehalten, die möglicherweise ressourcenschonender und kos­tengünstiger sind.
In einem konkreten Projekt haben wir fest­ge­stellt, dass der Schaden für die Natur beim Bau einer verbesserten Kläranlage durch Bagger­arbeiten, Betonherstellung usw. höher wäre, als der Vorteil bei der Einhaltung von Grenzwerten. 
Die oben geschilderte Problematik ist in vielen ländlichen Kommunen gleich. Mit Förderung des Hessischen Umweltministeriums wird deshalb ak­tuell ein Leitfaden anhand zweier unserer Orts­teile erstellt. Hierdurch sollen Wege aufgezeigt werden, wie die Abwasserentsorgung im ländlichen Raum weiterentwickelt werden kann (z. B. Rückkehr zu Sammelgruben oder Kleinkläranlagen für einzelne oder mehrere Grundstücke).
Der Leitfaden wird dabei über die technische Infrastruktur hinausgehen. Neu ist der Ansatz, die städtebauliche Entwicklung mit einzubeziehen. Anstatt der Neuplanung einer städtebaulichen Anlage wird nun der umgekehrte Weg beschritten. Nach der Analyse des Ausgangszustandes wird eine künftige Entwicklung prognostiziert. Daraus werden verschiedene Szenarien ent­wickelt, um diese dann zu vergleichen und ab­zuwägen. 
Ziel ist es, unter Einbindung der Bevölkerung zu einem integrierten Rückbaukonzept zu kommen. So werden auch unpopuläre Entschei­dun­gen nach­vollziehbar.
Bei der beschriebenen Vorgehensweise muss die „Seele des Dorfes“, die Besonderheit des Dor­fes, identifiziert werden. Die Menschen in unse­­ren Dörfern sollen auch künftig gerne hier wohnen. So machen wir die Dörfer langfristig zukunftsfähig.