Perspektiefe 34, September 2014

Integrierte ländliche Strategien entwickeln – Widerstandsfähigkeit stärken

HINTERGRUND

Megatrends wie die Europäische Integration, die Verschärfung des globalen Innovationswettbewerbs, die Wirtschafts- und Finanzkrise oder der sprunghafte Anstieg der Staatsverschuldung tragen dazu bei, dass in Deutschland neue Formen territorialer Ungleichheit entstehen. 

von: Dr. Maren Heincke, Referat Ländlicher Raum im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung  „Die Vielfalt der Lebens­welten und -entwürfe hat in den Dörfern stark zugenommen. Statt schlei­chen­der Resig­­nation sollte die Trauer über Tra­di­tions­abbrüche und Verluste zugelassen werden.“  Maren Heincke Wachstums- und Schrumpfungs­prozesse liegen in Hessen und Rheinland-Pfalz teilweise räumlich nah beieinander. In vielen ländlichen Regionen überwiegt aufgrund von demografischem, wirtschaftlichem, technolo­gischem und gesellschaftlichem Wandel die Schrumpfung. Trotzdem wird dort weiterhin auf dem Wachs­tums­postulat beharrt. Das führt dazu, dass trotz Leer­stand und Verfall in Ortskernen neue Baugebiete auf der grünen Wiese ausgewiesen werden. Bei Schrumpfungsbedingungen muss jedoch aktiv nach neuen Antworten gesucht werden. Dies ist ein wichtiger gesellschaftspolitischer und mentaler Gestaltungsauftrag. Neben den unbestreitbar negativen Effekten kann bei Schrumpfung ein Brückenschlag zu tief gehenden Nachhaltigkeits­diskursen gelingen.  Derzeit zeigen sich zwei diametral verschiedene Grundausrichtungen für raumplanerische Ziel­setzungen. Das bisher grundgesetzlich verankerte Ziel der „gleichwertigen Lebensverhältnisse“ wird bei den eher neoliberal orientierten Strategien fundamental in Frage gestellt. Es wird über staatlich geförderte großräumige Ab­siedlung, „Resträume“, „Sich-selbst-Über­las­sen“ der Entleerungsregionen, „Selbstverant­wor­tungs­räume für Raumpioniere“ versus „staatliche Ga­ran­­tiegebiete“ diskutiert. Hauptargument dafür sind die aufgrund des Rückgangs der ländlichen Be­völkerung stark steigenden Infrastrukturkosten pro Kopf. Staatliche Fördermittel sollen auf städti­sche Regionen konzentriert werden, da dort höhere wirt­schaftliche Innovationseffekte zu erwarten wären.  In einer Gegenbewegung dazu gibt es regionalplanerische Strömungen, die von einer Ge­stalt­bar­keit der Schrumpfung ausgehen. Über Dorf­mana­ger, Regionalbudgets, Zukunfts-Checks bei öffentlichen Investitionen, Flexibilisierung der Stan­dards, können positive Zukunftsentwicklungen trotz Res­sour­cen­­rückgang ermöglicht werden. Tief­­grei­fen­de Ver­änderungen werden nicht mehr als Ausnahme- sondern als Dauerzustand verstanden. Die besonderen Stärken und Werte der ver­schie­­­denen ländlichen Räume werden hervor­ge­ho­ben. Dörfer sollen bewusst qualitative Al­ter­­nativen zum Stadtleben bieten. Großräumige Ver­­­ant­­wortungs- und Solidargemeinschaften zwischen städtischen und ländlichen Räumen müssen er­halten bleiben.  Zur Verwirklichung solcher Ansätze ist jedoch teilweise ein Mentalitätswechsel auf dem Land nötig. Die Vielfalt der Lebenswelten und -entwürfe hat  in den Dörfern stark zugenommen. Statt schlei­chen­der Resignation sollte die Trauer über Tra­di­tions­abbrüche und Verluste zugelassen werden. Gleich­zeitig können Visionen für die Regionen entwickelt und ein Bewusstsein für das bestehende Wertvolle geschaffen werden. Wich­tige Faktoren sind Beheimatung, ländliche Kultur, Eigeninitiative, Dorfgemeinschaft, Natur­nähe und viel Raum. Die Stärkung des Faktors Mensch ist ent­scheidend gegen soziale, kulturelle oder mentale Ero­sion. Unter den Bedingungen von Indivi­dua­li­sierung müssen neue Formen sozialer Bezie­hun­gen etabliert werden.  Kirche als gesellschaftspolitische und diakonische Kraft könnte im ländlichen Raum eine sehr wichtige Rolle einnehmen.