Perspektiefe 43, September 2017

Beteiligen wir uns!

HINTERGRUND: Die regelmäßige Beteiligung an Wahlen ist ein wichtiger Teil der demokratischen Mitbestimmung. Die Teilnahme an Wahlen alleine reicht jedoch nicht aus für eine starke Demokratie. Denn eine lebendige und funktionierende Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie braucht zum einen Spielregeln, an die sich alle Akteure halten müssen. Zum anderen lebt sie davon, dass sich ihre Bürgerinnen und Bürger für sie engagieren und sie aktiv mitgestalten.

von Dr. Julia Dinkel, Referat Arbeit & Soziales, ZGV
„Die demokratische Mitbestimmung alleine auf den Wahlakt und formale Spielregeln zu reduzieren, greift jedoch zu kurz. Jede starke Demokratie hat engagierte Bürgerinnen und Bürger als Funda­ment, die das Gemein­wesen mitgestalten.“  Dr. Julia Dinkel

Teilnahme an Wahlen ist der zentrale Bestandteil der Demokratie

Das allgemeine und freie Wahlrecht ist das zentrale Merkmal einer Demokratie. Doch die Bedeutung und der Einfluss der Stimm­abgabe werden häufig unterschätzt. Aussagen wie „Meine Stimme hat keinen Einfluss auf die Wahl“ oder „Es ändert sich doch nichts, egal welche Partei ich wähle“ sind nicht selten im Vorfeld von Wahlen zu hören. Daher verwundert es kaum, dass die Wahlbeteiligung in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist. Erreichte die Wahl­beteiligung bei der Bundestagswahl 1972 noch einen Rekordwert von 91,1 Prozent, ging die Wahlbeteiligung bei den folgenden Wahlen stetig zurück und lag bei der Bundestagwahl 2013 nur noch bei 71,5 Prozent. Bei Landtagswahlen, Kom­munalwahlen oder Wahlen zum Europäischen Parlament ist der Anteil derjenigen, die von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, traditionell niedriger. Die Gründe für das Nichtwählen können sehr unterschiedlich sein. Desinteresse, Partei- und Politik­verdrossenheit, allgemeine soziale und wirtschaftliche Unzufriedenheit sowie die strategische Nicht­wahl zählen zu den häufigsten Grün­den für ein Fernbleiben von der Wahlurne. Wie wich­tig jede einzelne Stimme sein kann, zeigen knappe Wahl­ausgänge der letzten Jahre. So fehlten beispielsweise der FDP 2013 nur 90.000 Stim­men (0,2 Prozent) zu einem erneuten Einzug in den Bun­destag und einer sehr wahrscheinlichen Koalition mit der Union. Ein Blick in die euro­päischen Nach­barländer verdeutlicht ebenfalls die Bedeu­tung der Stimmabgabe. Die knappe Ab­stimmung zum „Brexit“ im Vereinigten König­reich wäre vermutlich anders ausgegangen, wenn sich mehr junge Men­schen am Referendum be­teiligt hätten.

Demokratie braucht Spielregeln

Damit die Stimmabgabe nicht zu einer Farce wird, braucht es auch in einer Demokratie Spielregeln. Denn nicht alle Staaten, die sich auf die Demo­kratie als Staatsform beziehen oder das Wort Demokratie im Namen tragen, sind auch tatsächlich demokratisch verfasst. Die Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) mit ihrem diktato­rischen Herrscher Kim Jong Un ist hierfür ein Beispiel. Um einen Missbrauch des Begriffs „De­mo­kratie“ in Deutschland zu verhindern und um die Sicherheit der Demokratie zu gewährleisten, hat das Bundesverfassungsgericht Kriterien für die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland festgelegt. Zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zählt die Achtung vor den unveränderbaren Grundrechten, die in Artikel 1-20 des Grundgesetztes festgelegt sind. Eine Regie­rung, welche die Menschenrechte oder die freie Ent­faltung der Persönlichkeit einschränken wollen würde, wäre somit nicht rechtmäßig. Ein weiteres wichtiges Kriterium der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist das Mehrparteienprinzip, welches sein Fundament in der Chancengleichheit für alle politischen Parteien hat. Weitere Kriterien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Ge­setzmäßigkeit der Verwaltung sowie die Unab­hängig­keit der Gerichte. Die Kriterien des Bun­desver­fassungsgerichts zeigen deutlich, dass Demo­kratie nicht zu einer Tyrannei der Mehrheit ausarten darf und die Rechte der Minderheiten zu berücksichtigen sind.

Ohne Engagement geht es nicht

Die demokratische Mitbestimmung alleine auf den Wahlakt und formale Spielregeln zu reduzieren, greift jedoch zu kurz. Jede starke Demokratie hat engagierte Bürgerinnen und Bürger als Funda­ment, die das Gemeinwesen mitgestalten. Wer in seiner Freizeit ehrenamtlich Kinder und Jugend­liche im Fußball trainiert oder im Elternbeirat der Schule aktiv ist, leistet einen wichtigen Beitrag für das gesellschaftliche Miteinander in einer Demo­kratie. Gleiches gilt beispielsweise für ein Enga­ge­ment in der Freiwilligen Feuerwehr, bei Rettungs­diensten, NGOs, Parteien, Vereinen, Verbänden, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen und nicht zuletzt in der Kirche. Auch bieten die Organisation von Straßenfesten oder die aktive Pflege von Nachbarschaften gute Plattformen für Diskussion und Austausch. Je informierter die Bürgerinnen und Bürger dabei über politische Debatten in Deutschland und der EU sind, desto leichter gelingt der Austausch.  Bürgerschaftliches Engagement schafft ein Klima der Solidarität und bildet so den Nährboden für eine starke Demokratie. Wichtig ist, dass uns bewusst ist, dass jede/r Einzelne von uns einen wertvollen Beitrag zur Stärkung der Demokratie leisten kann – und sei es „nur“ durch die Teil­nahme an Wahlen.