Perspektiefe 46, September 2018

Nachhaltig Einkaufen: Ein Fass ohne Boden?

HINTERGRUND: Nachhaltig einkaufen heißt: Beim Einkauf nicht nur auf das Produkt und den eigenen Vorteil, sondern auch darüber hinaus auf ökologische und soziale Aspekte achten. Und von diesen gibt es viele. Sehr viele.

von: Dr. Michael Bilharz und Stella Pfund, Umweltbundesamt, Fachgebiet Nachhaltige Konsumstrukturen
„Wenn Sie nachhaltiger einkaufen, ist das ein kleiner Schritt. Wenn Sie für eine Organi­sa­tion anders einkaufen, werden hieraus schnell viele Schritte. (…) Kaufen Sie „für andere“ nach­haltig ein, multi­plizieren Sie Ihre Wirk­samkeit.“ 
Dr. Michael Bilharz und Stella Pfund
Es fängt beim Rohstoffabbau an. Menschen­rechtsverletzungen, Landraub, giftige Abfälle und Wasserverunreinigungen sind hier an der Tagesordnung. Bei der Herstellung kommen weitere hinzu: Energie- und Ressourcen­effizienz, langlebiges Design und Reparatur­fähig­keit sollten auch berücksichtigt werden. Auf dem Weg zum Endkunden verursacht der Transport der Waren Lärm, Landschaftszerschneidung und Abgase. Energieverbrauch und damit verbundene Treib­hausgasemissionen sind sowieso in jeder „Le­bens­­zyklusphase“ des Produktes immer mit an Bord. Zu allem Übel ist auch nach dem Einkauf noch nicht Schluss. Wie werden die gekauften Pro­duk­te genutzt? Und zu guter Letzt: Werden die Produkte und die darin enthaltenen Rohstoffe rich­tig entsorgt, sodass aus ihnen wieder ein neuer Kreislauf entstehen kann? Mit dieser Kom­plexität im Hinterkopf stellt sich ernsthaft die Fra­ge: Ist nach­haltig Einkaufen nicht ein Fass ohne Boden?  Wir würden sagen: Es ist zweifelsohne eine große Herausforderung. Aber wir fangen nicht bei null an. Heute ist nachhaltiger Einkauf oft einfacher, als wir denken.

Rechtlich geregelt

Vieles müssen wir gar nicht mehr bedenken. Denn gesetzliche Regelungen machen unseren Einkauf schon an einigen Stellen nachhaltiger. So gibt  es zum Beispiel die europäische Ökodesign-Richt­linie, die das Ziel hat, Umweltwirkungen von energie­verbrauchsrelevanten Produkten wie Kühl­schränken oder Staubsaugern zu mindern. Sie ist der Grund dafür, dass es keine Energie ver­schwen­denden Glühbirnen mehr gibt und dass der Stand-by-Verbrauch von Elektrogeräten in­zwischen sehr gering ist. Nach dem FCKW-Verbot gibt es auch seit 2015 ein Verwendungsverbot von teilhalogenierten ozonabbauenden Kälte­­mitteln. Des Weiteren verpflichtet das Batteriege­setz seit 2006 die Hersteller und Importeure zur Rücknahme der anfallenden Altbatterien. Darüber hinaus begrenzt das Gesetz den Einsatz von Quecksilber und Cadmium in neuen Batterien (Schwermetallbegrenzung). Auch die Schadstoff­emissionen und klimaschädlichen CO2-Emis­sionen von Autos werden durch europaweite Vorgaben – zwar noch viel zu langsam, aber in der Tendenz im Sinne des Umweltschutzes – nach unten reguliert. Dass es diese Gesetze gibt, ist sehr gut. Sie machen den nachhaltigen Einkauf wesentlich leichter.

Pfade im Siegel-Dschungel 

Keine Frage: Der gesetzliche Rahmen lässt Kon­sumenten noch viel zu oft beim nachhaltigen Einkauf allein. Andere Helfer treten aber auf den Plan: Sozial- und Umweltlabels zeigen uns im Supermarkt, im Reisebüro oder beim Autokauf an, welches Produkt „nachhaltiger“ als andere Pro­dukte ist. Es gibt wenige Top-Siegel, mit denen man zwar nicht den ganzen Dschungel überblicken, sich aber einen gangbaren Weg bahnen kann. Mit der Energieverbrauchskennzeichnung, dem Bio-Siegel und dem Blauen Engel braucht man nur drei Siegel zu kennen, um bereits einen wichtigen Teil der Einkäufe unter Nachhaltigkeits­gesichtspunkten bewerten zu können. Der Blaue Engel deckt 120 Produktgruppen und Dienst­leistungen ab, darunter zum Beispiel Re­cycling­papier, Farben und Lacke, Plastiktüten und Fern­seher. Beim Ökostrom kommen die Siegel „ok-power“ und „Grüner Strom“, beim Holzkauf FSC und PEFC und beim Textilkauf zum Beispiel das GOTS-Siegel hinzu. Mit der Kenntnis über die Top-Siegel verliert der Siegel-Dschungel schnell seinen Schrecken. (1)

Gute Ratgeber griffbereit

Ein Siegel kann nicht alle Fragen beantworten. Und nicht alle Produkte haben ein (Top-)Siegel. Deshalb lohnt es sich, gerade bei größeren Ein­kaufsentscheidungen unabhängige Informationen einzuholen. Im Verbraucher-Portal des Umwelt­bundes­amtes (2) beispielsweise finden sich zu unterschiedlichsten Produkten wie Blumenerde, Computer, Car-Sharing, Autoreifen oder Elek­tro­rad kurz und knapp die wichtigsten Umwelttipps. Es folgen jeweils Erläuterungen für die praktische Umsetzung sowie Hintergrundinformationen zur Vertiefung und hilfreiche Links, wie zum Beispiel Pro­dukt­tests. An Information herrscht im Internet­zeitalter wahrlich kein Mangel.  

Vom Einkauf zum Konsum

Zu einem nachhaltigen Lebensstil gehört natürlich mehr dazu als nur der Einkauf. Es zählt die gesamte Art und Weise des Konsums: Wie wird geheizt? Welche Urlaubsreisen werden unternommen? Wie werden Produkte entsorgt? Wer kli­ma­neutral leben möchte, als eine zentrale Mindest­bedingung für einen nachhaltigen Lebensstil, stellt dabei mit dem UBA-CO2-Rechner (3) schnell fest: Die wichtigsten Stellschrauben, die den persönlichen CO2-Ausstoß bestimmen, haben nur bedingt etwas mit alltäglichem Einkauf zu tun. Im Bereich Mobilität sind dies die Zahl der Fernreisen, die zurückgelegten Autokilometer und der Kraft­stoffverbrauch des Autos. Im Bereich Wohnen kommt es vor allem auf die Größe der Wohnfläche und den Dämmstandard in Bezug auf den Heiz­energieverbrauch an. In der Ernährung sind der Konsum tierischer Produkte sowie die Art der Landwirtschaft entscheidend.  Klimaneutral leben heißt deshalb auch, sich auf die „Big Points“ des nachhaltigen Konsums zu konzentrieren, bei denen der einzelne Verbraucher tonnenweise CO2-Vermeidung bewirken kann. In unserer Broschüre Klimaneutral leben (4) haben wir das beispielhaft für fünf unterschiedliche Personen durchgespielt. Für einen nachhaltigen Einkauf heißt dies im Umkehrschluss: Viele Einkaufs­ent­scheidungen sind von eher nachrangiger Umwelt­relevanz. Schön, wenn man sich trotzdem für die umweltfreundliche Variante entscheiden kann. Aber es ist eben auch kein „Drama“, wenn es mal nicht klappt oder man sich unsicher bezüglich der richtigen Entscheidung ist. „Spielentscheidend“ sind die Big Points.

Einer für alle

Wenn Sie nachhaltiger einkaufen, ist das ein kleiner Schritt. Wenn Sie für eine Organisation anders einkaufen, werden hieraus schnell viele Schritte. Ob das Recycling-Druckerpapier mit dem Blauen Engel oder die Lebensmittelversorgung am nächs­ten Gemeindefest: Kaufen Sie „für andere“ nachhaltig ein, multiplizieren Sie Ihre Wirksamkeit.  Beschaffer wissen das: Im Extremfall braucht es nur zwei umweltbewusste Verbraucher, um 100.000 Autos und 40.000 Hemden umwelt­freund­lich einzukaufen: Einen großen Autoverleiher und eine große Fluggesellschaft. Nachhaltige Beschaffung und die Aktivierung von Großver­brauchern ist deshalb ein geeigneter Ansatz zur Förderung von nachhaltigem Einkauf. Neben dem Verbraucherportal hat das Umweltbundesamt des­halb auch noch viele Vorlagen für Beschaffer auf: beschaffung-info.de

Einfach machen

Ein nachhaltiger Lebensstil bedeutet, so zu leben, dass alle Menschen heute und in Zukunft so leben können wie ich. Nachhaltig einkaufen ist hierzu – neben anderen Handlungsmöglichkeiten wie politischem und gesellschaftlichem Engagement – ein wichtiger Beitrag. Bei jedem Einkauf die unter sozialen und ökologischen Aspekten beste Alter­native zu finden und zu wählen, kann im Einzelfall tatsächlich ein Fass ohne Boden werden. Aber in der Tendenz können wir vor dem Hintergrund der fünf beschriebenen Strategien sagen: Es gibt in fast allen Produktbereichen „grüne Alternativen“, die zu einer geringeren Umweltbelastung führen, ohne den Produktnutzen zu schmälern. Nach­haltig einkaufen war deshalb für Verbraucherinnen und Verbraucher noch nie so einfach möglich wie heute. Wichtig ist dabei nur, dass wir uns nicht in Detailfragen verzetteln.
1 Einen Überblick sowie Erläuterungen zu den 9 Top-Siegeln und auch zu weiteren empfohlenen Siegeln des Umweltbundesamtes finden Sie auf unserer Website (www.umweltbundesamt.de/umwelttipps-fuer-den-alltag/siegelkunde). 2 Link: www.uba.de/umwelttipps  3 Link: www.uba.co2-rechner.de/de_DE/ 4 Link: www.umweltbundesamt.de/publikationen/klimaneutral-leben