Perspektiefe 46, September 2018

Nachhaltiger Konsum. Schöpfungstheologische und ethische Dimensionen

SCHÖPFUNGSTHEOLOGISCHER IMPULS: Was wir essen und trinken, wie wir uns kleiden, wohin wir in Urlaub fahren: Unsere Konsum­entschei­dungen haben Folgen für unsere Mitmenschen und die Umwelt. Die Botschaft der Nachhaltigkeit ist dabei in der Kirche scheinbar unstrittig: Der Begriff „sustainability“ wurde erstmals durch den Ökumenischen Rat der Kirchen 1974 prominent benutzt und die europäische Ökologiebewegung ist ohne ihre religiöse Dimension nicht vollständig wahrzunehmen, vor allem angesichts des intensiven Engage­­ments von Christ*innen. Inner- wie außertheologisch nicht unumstritten, fußt dieses Engagement in der Regel auf dem Konzept der Bewahrung der Schöpfung.

von Dr. Clemens Wustmans, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systematische Theologie (Ethik und Hermeneutik) an der Humboldt-Universität zu Berlin
„Christ*innen müssen Hinweise auf das Gute geben, auch und gerade im Bereich von Öffentlichkeit und Politik.“ Dr. Clemens Wustmans

Schöpfungstheologische Perspektiven

Das Konzept von der Bewahrung der Schöp­fung schließt vor allem an den in Gen 2,15 an den Menschen ergangenen Auftrag an, den Garten zu bebauen und zu bewahren. In kritischen Anfragen an eine biblische Begründung nachhaltigen Handelns wird dagegen meist auf Gen 1,28, den berühmt-berüchtigten Herrschafts­auftrag, verwiesen. Dass es sich bei Letzterem um eine universelle Gewaltherrschaft des Men­schen über die übrige Schöpfung handelt, lässt sich exegetisch allerdings nicht halten. Ein wichtigerer Einwand ist die Frage, ob der Mensch überhaupt in der Lage ist, die Verant­wor­tung der Schöpfungsbewahrung zu übernehmen, zumal „Schöpfung“ ja eigentlich das Ganze meint, nämlich Natur und (menschliche) Kultur. Angelehnt an die Schöpfungsgeschichte ausgedrückt: Der Auftrag des Bebauens und Bewahrens ergeht an den Menschen im Garten Eden, aber genau da ist er nicht mehr. Notwendig ist, neben der Perspek­tive der Schöpfungstheologie auch die Versöh­nung zu betonen: Erst im versöhnen­den Handeln Gottes wird die Welt überhaupt als Schöpfung erkennbar. Der Alttestamentler Jürgen Ebach nennt diesen Sachverhalt „utopische Erinnerung“. In dieser von Gott gewollten, versöhnten und er­lösten Schöpfung steht der Mensch nicht im Zen­trum, sondern ist ein Mitgeschöpf unter vielen. Was ihm – und nur ihm – aber zukommt, ist eine besondere Verantwortung, die nur der Mensch wahrnehmen kann.

Nachhaltigkeit als individuelles Dilemma

Nachhaltiger Konsum heißt dann, soziale und ökologische Aspekte bei Kauf und Nutzung von Produkten und Dienstleistungen zu beachten. Es bedeutet, bewusster, anders und gelegentlich auch einfach weniger zu kaufen. Wer insgesamt weniger konsumiert (oder konsumieren kann), hat oft eine bessere Umweltbilanz. Wie nachhaltig wir leben können, hängt von unseren Gewohnheiten, der Lebenssituation, auch vom Einkommen ab. Vergleiche ich meinen Alltag aus meiner Zeit als Student mit meiner heutigen Situation, ergibt sich ein zwiespältiges Bild: In vielen Lebensbereichen kann ich heute nachhaltiger konsumieren, mich zum Beispiel bei Klei­dung oder Möbeln bewusst für die nachhaltig hergestellte oder auch einfach die länger haltbare Alternative entscheiden (auch die Nutzungsdauer und die Entsorgung von Produkten am Ende ihrer Nutzungszeit spielen ja eine wichtige Rolle). Glei­ches gilt für den Einkauf von Bio-Lebensmitteln, der oft mit etwas höheren Preisen verbunden ist, heute aber viel selbstverständlicher Teil meines Lebensstils ist als mit Anfang 20 im Studierenden­wohnheim. In Summe lebe ich heute wahrscheinlich trotzdem deutlich weniger nachhaltig – allein die Menge an Flugreisen, die ich jährlich unternehme, ruiniert meine Öko-Bilanz. Manche dieser Flüge buche ich, weil ich heute andere finanzielle Möglichkeiten habe, und das geht nicht nur mir so: Der SPIEGEL analysierte im November 2014 unter der Überschrift „Bahn predigen, Business fliegen“, dass ausgerechnet Anhänger*innen der Partei Bündnis 90/Die Grünen häufiger als die aller anderen Parteien das Flugzeug als Trans­portmittel nutzen, was vor allem durch die demografische und gesellschaftliche Platzierung der betreffenden Wähler*innen erklärt wird. Nicht wenige Flüge gehen außerdem auf das Konto meines Berufs: Gerade auch am Arbeitsplatz Universität ist die Teilnahme an der Konferenz in Südafrika oder den USA ein viel größeres Statussymbol als die vielleicht ähnlich ergiebige Videokonferenz, für die ich mich keinen Meter vom Schreibtisch wegbewegen muss. Wichtig wäre in diesem Beispiel also, einen entsprechenden Kulturwandel zu för­dern, der nicht auch noch nicht-nachhaltiges Ver­halten belohnt. Entscheidend ist auch, ob es überhaupt entsprechende attraktive Angebote gibt: Den Bio-Supermarkt um die Ecke kann man ebenso wenig herbeizaubern wie das funktionierende Nahverkehrssystem auf dem Land. Sich gerade für solche Bereitstellung von Infrastruktur, für Anreize und Bedingungen, die nachhaltigen Kon­sum attraktiv machen, gesellschaftspolitisch einzusetzen, kann man als Aufgabe der Kirchen, als ethische Forderung an Christ*innen sehen.

Ethische Konsequenz: Gesellschaftspolitisches Handeln

Die Entscheidung für ein nachhaltiges Produkt oder ein engagiertes Unternehmen ist aber nicht immer einfach; meist ist für Verbraucher*innen kaum nachvollziehbar, unter welchen Bedin­gun­gen Produkte in der globalen Herstellungskette entstehen. Die Produkte selbst müssen nachhaltiger werden: weniger Ressourcen verbrauchen, weniger Schadstoffemissionen produzieren und unter sozial vertretbaren Bedingungen hergestellt sein. Wie die Jeans produziert wird, welche Pesti­zide in der Wandfarbe sind oder wie viel CO2-Ausstoß die Tomate im Supermarktregal mit sich bringt, ist nicht einfach zu überprüfen. Nicht nur brauchen Verbraucher*innen einfache und glaubwürdige Informationen, um sich bewusst für nachhaltigere Produkte entscheiden zu können – Auf­gabe der Gesellschaft wäre es, durch Regelungen und Gesetze dafür zu sorgen, dass alle angebotenen Produkte möglichst nachhaltig sind. In der Ethik unterscheidet man an dieser Stelle zwi­schen dem Richtigen und dem Guten: Das Gute sind Regeln, die eine bestimmte Kultur, Reli­gion oder Weltanschauung voraussetzen – zum Bei­spiel das Christentum in seiner protestantischen Ausprägung. Die Ebene des Richtigen meint dagegen Regeln, die das politische Zu­sammenleben von Menschen aus verschiedenen Kontexten koordinieren soll – also für uns die Ebene der politischen Gestaltung, der Gesetze und Verordnungen in der EU oder der Bundes­repu­blik. Die Ebene des Richtigen braucht Im­pulse aus der Ebene des Guten. Christ*innen müssen Hinweise auf das Gute geben, auch und gerade im Bereich von Öffentlichkeit und Politik; diese müssen anschließend in unserer pluralen Gesellschaft diskutiert werden. Wenn wir als Pro­testant*innen nachhaltigen Konsum und Lebens­stil als das Gute erkannt haben, das nicht zuletzt biblisch begründet ein Impuls unserer Ethik ist, wird es unsere Auf­gabe, dies nicht nur persönlich umzusetzen, sondern auch auf der Ebene des Richtigen für dieses Ziel einzutreten. Nachhaltiger Konsum ist also nicht nur eine persönliche Angelegenheit für ein gutes Ge­wis­sen, sondern eine Strategie, die umso wirksamer wird, je mehr Menschen ihr folgen. Mit jeder nachhaltigen Kaufentscheidung machen Konsu­ment*innen klar, dass sie umwelt- und sozialverträgliche Produkte wollen – und sich ein ent­­spre­chendes Angebot für Produzent*innen wie Ver­käufer*innen auch finanziell lohnt. Gleichzeitig gilt es, für gesamtgesellschaftliche Regelungen und Gesetze einzutreten, die nachhaltigen Kon­sum ermöglichen und fördern, wo immer es geht.