Perspektiefe 48, April 2019

Jammern hilft nicht: Zu Gast bei Ehepaar K.

BEISPIEL: Herr und Frau K. sind seit 1985 verheiratet. Früher gehörte ihnen ein schönes helles Haus. Heute leben sie in einem kleinen Ort in der Nähe von Höhr-Grenzhausen und wohnen in einem Hausanbau aus den Siebzigerjahren zur Miete. Wie damals modern, hängen dunkle Holzpaneele an der Decke. Es fällt wenig Tageslicht in die Wohnung.

Der studierte Agraringenieur arbeitete jahrelang als selbstständiger EDV-Trainer und reiste durch ganz Deutschland, um Angestellte bekannter Unternehmen zu schulen. Bis zu seinem ersten Schlaganfall. Danach konnte er nicht mehr Autofahren und musste nach 30 Jahren Selbstständigkeit Insolvenz anmelden. Später kam noch ein zweiter Schlaganfall dazu.
Frau K., ebenfalls studierte Agrarwissenschaftlerin, analysierte viele Jahre lang Pflanzen-, Boden- und Wasserproben in einem Gartenbaubetrieb. Der Betrieb wurde 2007 verkauft und schloss den Standort im Westerwald. Drei Monate später erkrankte sie an Multipler Sklerose und kann seither nicht mehr arbeiten. Durch Ergotherapie und Krankengymnastik versucht sie, das Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten und trotz ihrer halbseitigen Lähmung möglichst lange beweglich zu bleiben.
Als sie jung waren, hatten sie sich ihr Leben anders vorgestellt. Sie waren voller Tatendrang, hatten Pläne und dachten nicht darüber nach, dass sie einmal von Krankheiten aus der Bahn geworfen werden könnten. In der Zeit nach dem Erwerbsleben wollten sie all das nachholen, wozu sie bisher keine Zeit gefunden hatten.
Und dennoch sind sie froh, dass es ihnen heute gesundheitlich einigermaßen gut geht. Es hätte alles noch schlimmer kommen können. Herr K. hat nach den Schlaganfällen zumindest keine sprachlichen Einschränkungen und kann sich einigermaßen bewegen. Nur seine Reaktionsfähigkeit ist eingeschränkt. Und manchmal lässt ihn sein Gedächtnis im Stich.
Die beiden leben von knapp 1400 Euro im Monat. Davon gehen über 700 Euro für Miete, Strom, Heizkosten und andere Nebenkosten ab. Eine Renovierung der Wohnung ist derzeit nicht drin und eine Reparatur am Auto würde sie in große Bedrängnis bringen.

Die Tafel hat ihnen schon aus so mancher Notsituation geholfen. Dafür sind sie überaus dankbar. „Wir fühlen uns hier gut aufgehoben. Die Ehrenamtlichen sind sehr freundlich und erkundigen sich nach unserem Befinden. Da sie wissen, dass wir dunkles Brot besonders gern mögen, geben sie uns das schon automatisch. Das empfinden wir als eine gewisse Form von Achtung“, so Herr K.
Für beide ist die Tafel jede Woche aufs Neue wie ein Überraschungspaket. Man weiß nie, welche Lebensmittel es geben wird, und das ist spannend. „Oder hätten Sie gedacht, dass man auch mal ein Sushiset bekommen würde?“, fragt Herr K. mit leuchtenden Augen. Zur Tafel gehen sie persönlich ohne Scham: „Wir schaden keinem und dann werden auch weniger Lebensmittel weggeworfen.“ Und die Lebensmittel werden auch nicht gepfändet oder mit anderen Leistungen verrechnet. Mit Geld wäre das anders.

Sie fühlen sich in ihrem Wohnort sehr wohl und gut integriert. In dem 700 Einwohner zählenden Ort herrschen starke soziale Bindungen. Jeder kennt jeden und die Hilfsbereitschaft untereinander ist groß. Sie wollen auf jeden Fall hier wohnen bleiben, obwohl es weder Einkaufsmöglichkeiten noch ärztliche Versorgung im Ort gibt. Und obwohl kaum eine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr besteht. Solange Frau K. noch Autofahren kann, ist das machbar.
Dennoch überlegen sie, wie es weitergehen könnte, wenn sie eines Tages mehr Pflege benötigen. Für die großen Tierliebhaber käme ein Seniorenheim nicht infrage. „Nur in den seltensten Fällen darf man da Tiere mitbringen“, begründet Herr K. Eine Seniorenwohngemeinschaft würde da schon besser passen. „So wie früher im Studentenwohnheim, wo man sich gegenseitig unterstützt und gemeinsam etwas unternimmt“, schwärmt Frau K. Davon gibt es im Westerwald einige und einige davon sogar in ihrer Nähe.
„Alt werden ist keine Heldentat, aber anstatt uns gehen zu lassen, versuchen wir, das Beste daraus zu machen.“