Perspektiefe 50, Dezember 2019

Unternehmen sollten ganzheitlich Verantwortung für die Auswir­kungen ihres Handelns übernehmen

INTERVIEW: Unternehmen sollten ganzheitlich Verantwortung für die Auswir­kungen ihres Handelns übernehmen Drei Fragen an Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des Outdoorausrüsters VAUDE in Tettnang.


„Wer ganzheitliche Ver­antwortung über­nimmt, ist in diesem System automatisch im Wett­bewerb benachteiligt.“
Antje von Dewitz

Sie haben in Ihrem Unternehmen schon das zweite Mal eine Gemeinwohl-Bilanzierung vorgenommen. Warum machen Sie das und wie funktioniert das in der Praxis?

Von Dewitz: Wir übernehmen seit über zehn Jah­ren konsequent soziale und ökologische Verant­wortung in unserem Unternehmen. So ist unsere Firmenzentrale mit den dort hergestellten Produk­ten 100 Prozent klima­neutral. Wir haben inno­vative Mobi­litätskonzepte, eine Bio-Kantine und einen nach ökologischen Kriterien umgebauten Firmen­sitz mit hoher Energie­effizienz. Außerdem setzen wir uns sehr dafür ein, unseren Mit­arbei­ter*innen eine gute Work-Life-Ba­lance zu bieten. Auf Produkt­seite gestaltet VAUDE sowohl die gesamte Liefer­kette als auch den Lebenszyklus eines Pro­dukts konsequent nach ökologischen und fairen Ge­sichts­punkten. Wir haben mit „Green Shape“ ein eigenes strenges Be­wertungssystem für ökologisch und fair hergestellte Produkte geschaffen. Derzeit erfüllen 98 Prozent unserer Be­klei­dungs­kollektion die Green-Shape-Kri­terien. Seit vielen Jahren engagieren wir uns mit unabhängigen Part­nern wie beispielsweise der Fair Wear Foundation dafür, bei unseren Lieferanten und Produzenten hohe ökologische und soziale Stan­dards zu gewährleisten. Dafür schulen wir auch auf freiwilliger Basis unsere Materialzulieferer in Asien.
All das bedeutet wesentlich mehr Aufwand, Zielkonflikte, Komplexität und Kosten und stellt damit zunächst erstmal einen Wettbewerbs­nach­teil dar. Denn verantwortungsvolles Wirtschaften beruht zu einem hohen Grad auf Freiwilligkeit. Wer ganzheitliche Verantwortung übernimmt, ist in diesem System automatisch im Wettbewerb be­nachteiligt. Wer auf Kosten von Mensch und Natur wirtschaftet, kann im Gegensatz dazu günstige Preise und/oder hohe Gewinne einstreichen. Deshalb  setzen wir uns für die Schaffung eines Level Playing Field ein, also gleiche Wettbewerbs­bedingungen für alle. Es ist unsere Überzeugung, dass Unterneh­men ganzheitlich Verantwortung für die Aus­wirkungen ihres Handelns übernehmen sollten. Diesen Ansatz verfolgt auch die Gemeinwohl-Ökonomie. Die GWÖ-Bilanz ist aus unserer Sicht eine sinnvolle Ergänzung zur Wirtschaftsbilanz eines Unternehmens. Wir nutzen die GWÖ zum einen als einen Management-Ansatz, um uns in unserem Gemeinwohlbeitrag zu beleuchten. Zum anderen möchten wir uns als Pionierunternehmen u. a. mit der GWÖ dafür einsetzen, dass solche Ansätze, die mehr Verantwortungsübernahme von Unternehmen fordern, in unserem Wirtschafts­system zum Tragen kommen. In der Praxis erstellen wir eine GWÖ-Bilanz, die bei uns überwiegend mit bereits erfassten und zertifizierten Inhalten befüllt wird, die beispielsweise aus unserem Umweltmanagementsystem EMAS, dem Klimabericht, dem Sozialreport der Fair Wear Foundation oder unserem Nachhaltig­keitsbericht, der nach dem internationalen GRI-Standard verfasst wird, gewonnen werden. Da­­rüber hinaus erstellen wir eine Ei­genbewertung anhand festgelegter Kri­terien. Wenn alles zusammengestellt ist, kommt ein externer Auditor, der alle Inhalte genau überprüft.

Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?

Von Dewitz: Eine GWÖ-Bilanz misst unternehmerischen Erfolg nicht nur an ökonomischen, sondern auch an ökologischen und sozialen Faktoren. Unternehmen werden also nicht nur nach ihrem finanziellen Erfolg bewertet, sondern auch daran, inwieweit sie Verantwortung für Mensch und Um­welt übernehmen und die wahren Kosten für ihre Produkte berücksichtigen. Zielsetzung ist eine nachvollziehbare und ehrliche Einschätzung, wo sich ein Unternehmen im Hinblick auf das Ge­mein­wohl befindet.
Wenn diese Art der Bewertung von Unterneh­men in unserem Wirtschaftssystem verankert wäre, würden globale Herausforderungen wie die Klima­erwärmung einen ganz anderen Stellenwert in unserer Welt erhalten. Deswegen unterstützen wir die Gemeinwohl-Ökonomie und freuen uns, dass dieses Konzept auch in der Politik und der Wirt­schaft immer mehr Zuspruch findet.

Haben Sie durch die Bilanzierung einen anderen Blick auf Ihr Unternehmen bekommen?

Von Dewitz: Ja, wir beschäftigen uns dadurch immer wieder mit Fragen, die wir uns sonst nicht in dem Maße gestellt hätten. Zum Beispiel: Was ist unsere ideale Unternehmensgröße? Ist weiteres Wachstum notwendig? In welcher Form kön­­nen wir Mitarbeiter*innen an der Auswahl ihrer Füh­rungs­kräfte beteiligen?
Die Gemeinwohl-Bilanz ermöglicht einen sehr ganzheitlichen Blick auf alle möglichen Facetten des Unternehmens.

Zum Unternehmen

Das Unternehmen VAUDE Sport GmbH + Co. KG ist zu 100 Prozent im Familien­besitz. VAUDE entwickelt, produziert und vertreibt Outdoor-Aus­rüstung wie Rucksäcke, Bekleidung, Schlafsäcke oder Zelte und beschäftigt 529 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeiter.

www.vaude.com