Perspektiefe 53, März 2021

Kommunen müssen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Schulden aufnehmen und investieren, um die Wirtschaft am Laufen zu halten.

NACHGEFRAGT: Drei Fragen an Adil Oyan, Finanzdezernent der Stadt Bensheim


„Grundsätzlich ist es Kommunen demnach nur für Zukunfts­pro­jek­te möglich, Schul­den aufzunehmen. Das kommunale Haushalts­recht kennt keine Ausnahmesituation, in der eine weitgehend unbegrenzte Schulden­aufnahme erlaubt ist.“ Adil Oyan

Wie ist eine hohe kommunale Verschul­dung konkret für die Bürgerinnen und Bürger erlebbar?

Die Leistungen einer Kommune haben er­heb­lichen Einfluss auf die Lebensqualität der Bewohner einer Stadt. Hinter den Zah­len, ob nun schwarz oder rot, stehen immer Men­schen und Einrichtungen, oft eben auch Dienst­leistungen für die Bürger*innen. Ein funktionierender Personennahverkehr, städtische Grün­anlagen, Jugendveranstaltungen, Kulturveranstal­tungen oder ein kommunales Schwimmbad, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Vieles was „Hei­mat“ und „Staat“ ausmacht, wird von den Städten gepflegt. Kann eine Stadt oder Gemeinde viele oder keine dieser Dinge finanziell schultern, ist dies für die Bürgerinnen und Bürger ganz konkret mit einem Verlust der Lebensqualität spürbar.

Welche Auswege gibt es, wenn man sich nicht mehr strukturell verschulden darf?

Lange galt die Verschuldung als Instrument der staatlichen Einnahmeerzielung als gesetzt. In Kri­senzeiten wie der derzeitigen nimmt sie einen unersetzlichen Platz ein. Unter hoffentlich bald wieder „normalen“ Umständen kann und darf diese Verschuldungspolitik nach unserem bisherigen Verständnis kein Mittel zur Aufgabenerfüllung sein. Grundsätzlich ist es Kommunen demnach nur für Zukunftsprojekte möglich, Schulden aufzunehmen. Das kommunale Haushaltsrecht kennt keine Ausnahmesituation, in der eine weitgehend unbegrenzte Schuldenaufnahme erlaubt ist. Eine Vielzahl ihrer Aufgaben bekommen wir aber von Bund und Land übertragen. Ausreichende finan­zielle Zuweisungen sind mit diesen Aufgaben­über­tragungen oft nicht verbunden. Stichwort: „Kon­nexität“. Daher muss in den politischen Ent­schei­dungsprozessen zwischen wünschenswer­tem und notwendigem differenziert werden. Eine Schuldenreduktion wäre oft nur mit negativen Auswirkungen auf die bereits angesprochene Lebensqualität möglich. Andererseits werden zur Stärkung der Wirtschaft immer neue Konjunktur­programme zur Aufrechterhaltung bzw. Wieder­belebung dieser gefordert. So kann die Corona-Krise auch dazu beitragen, unser Verständnis von Staatsschulden und Wachstum zu überdenken. Dazu gehört auch, dass man bereit sein müsste, langfristige Schul­den zu machen. Die Schulden der öffentlichen Hand würden sich durch das Wachstum der Wirt­schaft nach und nach amortisieren. Wächst die wirtschaftliche Leistung bei gleichbleibendem Schuldenstand, sinkt die Quote der Verschuldung. Daher wäre eine Sparpolitik, um die neuen Schul­den abzubauen, der falsche Weg. Um das hierfür notwendige Wirtschafts­wachstum zu erreichen, muss mehr investiert werden! Gerade die Kom­munen sind angehalten, wirtschaftlich antizyklisch zu handeln. Das bedeutet, dass die Kommunen in wirtschaftlich schlechten Zeiten diejenigen sein müssen, die Schulden aufnehmen, investieren und die Wirtschaft so auch am Laufen halten. Zum Wohle aller.

Kann die Not auch Kräfte freisetzen?

Ja, Krisen können neue Kräfte freisetzen und das Beste in uns zum Vorschein bringen. Gerade zu Beginn der Pandemie haben wir eine besondere Stimmung von Gemeinsinn und Aufbruch wahrgenommen. Beispielsweise im Rahmen der Nach­barschaftshilfe und der Unterstützung älterer Mitbürger*innen. Aber auch bei Einzelhändlern, Gastro­nomen und vielen anderen, die mit ihren Ideen neue Wege des Leistungsaustauschs gefunden haben. Es bewegt sich etwas, weil wir aus alten Mustern ausbrechen müssen. Gemeinsam muss um Lösungen gerungen werden. Und die Kom­mune muss die Rolle der Unterstützerin und Mo­deratorin übernehmen.