Perspektiefe 57, September 2022

Grenzausgleich und Klima-Club: Internationale Aspekte der CO2-Bepreisung

HINTERGRUND: Der Emissionshandel in der EU ist ein wirksames und effizientes Instrument, um die CO2-Emissionen in den Sektoren der Stromerzeugung und der Großindustrie zu begrenzen. Er garantiert, dass sich der CO2-Preis so einstellt, dass nicht mehr CO2 ausgestoßen wird, als durch die Anzahl der Emissionsrechte festgelegt wurde. Im internationalen Rahmen kommt es dadurch aber zu zwei Problemen, weil der CO2-Preis in der EU deutlich höher ist als in fast allen anderen Staaten der Welt.

von: Prof. Dr. Klaus M. Schmidt, Ludwig-Maximilians-Universität München, Seminar für Wirtschaftstheorie und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz

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Das erste Problem ist „Carbon Leakage“, also die Verlagerung von Emissionen ins Ausland. Wenn im Ausland deutlich we­niger für die Verschmutzung mit CO2 bezahlt werden muss, lohnt es sich für europäische Un­ter­nehmen, die Produktion von CO2-intensiven Gütern wie Stahl, Aluminium oder Ammoniak ins Ausland zu verlegen. Gleichzeitig werden aus­ländische Unternehmen mehr von diesen Gütern in die EU exportieren. Das kann sogar zu einer Erhöhung der CO2-Emissionen führen, wenn die Produktion im Ausland schmutziger ist als in der EU oder wenn beim Transport der Güter zusätzliche Emissionen entstehen.

Zusätzlich gibt es ein „indirektes“ Carbon Leakage, wenn die verringerte Nachfrage der EU nach fossilen Brennstoffen zu einem Preisrück­gang für fossile Brennstoffe auf dem Weltmarkt führt, was andere Staaten veranlasst, mehr Öl, Gas und Kohle zu verbrauchen. Bis 2019 war der CO2-Preis in Europa mit 10–20 € pro Tonne sehr niedrig, sodass Leakage kein großes Problem war. Seitdem ist der Preis jedoch auf über 80 €/t gestiegen. Wenn es dadurch zu einer umfangreichen Emissionsverlagerung ins Ausland kommt, kann sich die Effektivität der europäi­schen Klima­politik erheblich verringern.

Das zweite Problem ist die Erosion der Wett­bewerbsfähigkeit der europäischen Industrie. Wenn europäische Produkte durch die CO2-Be­preisung teurer werden als die Produkte des Auslands, werden in Europa Arbeitsplätze und Wirtschaftsleistung verloren gehen. Die ausländischen Unternehmen haben einen Wettbe­werbs­vorteil, weil sie keinen oder einen viel geringeren CO2-Preis zahlen müssen.

„Von den Mitglieds­staa­ten der G7 haben nur Deutschland, Frank­reich, Italien, das Vereinigte Königreich und Kanada eine CO2-Bepreisung, in den USA und Japan gibt es sie dagegen nicht."
Prof. Dr. Klaus M. Schmidt

„Perfekter“ CO2-Grenzausgleich in der Praxis nicht realisierbar

Um diese Probleme einzudämmen, will die EU einen CO2-Grenzausgleich einführen. Ein perfekter Grenzausgleich würde alle Importe an der Grenze zur EU in Abhängigkeit von ihrem CO2-Fußabdruck mit einem Importzoll belasten, der genau der CO2-Bepreisung in der EU entspricht. Gleichzeitig würde er die europäischen Exporte von der CO2-Bepreisung freistellen, indem er die Kosten für die erworbenen Zertifikate zurückerstattet. Dann müssen inländische und ausländische Produzenten im Inland denselben CO2-Preis bezahlen, im Ausland sind beide von der CO2-Bepreisung befreit. Es gibt keinen Anreiz mehr, die Produktion ins Ausland zu verlagern.

Leider ist ein „perfekter“ Grenzausgleich in der Praxis nicht realisierbar. Zum einen sieht man den importierten Gütern nicht an, wie viel CO2 bei ihrer Herstellung emittiert wurde. Wenn z. B. Alu­minium aus China importiert wird, kann niemand sagen, ob dieses Aluminium mit grünem Strom aus Was­serkraft oder mit schmutzigem Strom aus Kohle produziert wurde. Man muss also pauschalieren und es entsteht ein erheblicher bürokratischer Auf­wand, um für jedes Land und jedes Gut den CO2-Gehalt festzulegen. Darum will die EU den Grenz­aus­gleich zunächst auf einige wenige besonders energieintensive Güter wie Stahl, Alu­mi­nium, Ze­ment und einige chemische Grund­stoffe beschränken.

Zum zweiten gibt es ein juristisches Problem mit der Welthandelsorganisation (WTO). Nach den WTO-Regeln ist es nicht zulässig, bei Exporten den CO2-Preis zu erstatten. Das wird als protektionistische Maßnahme gesehen, denn die Exporte werden subventioniert, ohne dass sich das durch Umweltschutz rechtfertigen lässt. Schließlich führt die Erstattung des CO2-Preises zu mehr Emis­sionen. Noch behilft sich die EU damit, dass sie den europäischen Produzenten von energieintensiven Produkten Zertifikate umsonst zuteilt. Diese kostenlosen Zertifikate müssen aber in den nächs­ten Jahren abgebaut werden, weil sie ebenfalls nach den WTO-Regeln illegal sind.

Klima-Club als Lösung?

Eine elegante Lösung dieser Probleme wäre ein sogenannter „Klima-Club“, der vor einigen Jahren von Nobelpreisträger William Nordhaus vorgeschlagen worden ist. Seine Idee war, dass die wichtigsten Industrieländer (und größten Ver­schmut­zer) sich auf einen gemeinsamen Min­dest­preis für CO2 einigen. Wenn sich alle Club­mit­glie­der an diesen Mindestpreis halten, kann innerhalb des Clubs auf einen Grenzausgleich verzichtet wer­­den. Dieser muss nur noch an den Außen­gren­­zen erhoben werden. Das gibt den Ländern, die nicht im Club sind, einen Anreiz, ebenfalls eine CO2-Bepreisung einzuführen und Mitglied des Clubs zu werden, um die bürokrati­sche Be­steue­rung ihrer Waren beim Handel mit den Club-Län­dern zu vermeiden.

Die Mitglieder des Clubs könn­ten einen Teil der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung verwenden, um Entwick­lungs­­ländern, für die die Einfüh­rung der CO2-Be­preisung besonders schwierig ist, zu unterstützen. Idealerweise würde der Club so immer größer wer­den, bis es schließlich weltweit eine ein­heitliche CO2-Beprei­sung gibt. Dann gibt es kein Carbon Leakage und keine Wettbewerbs­­verzer­rungen mehr und der Grenz­aus­gleich wird überflüssig.

Die Regierungschefs der G7 verständigten sich bei ihrem Gipfeltreffen in Elmau auf die Grün­dung eines internationalen Klima-Clubs bis Ende 2022. Gemeinsames Ziel soll die Minderung von Treibhausgasemissionen sein. Ob das Instrument der CO2-Bepreisung dafür eingeführt wird, ist ungewiss. Denn von den Mitgliedsstaaten der G7 haben nur Deutschland, Frank­reich, Italien, das Vereinigte Königreich und Kanada eine CO2-Be­preisung, in den USA und Japan gibt es sie dagegen nicht. Schlimmer noch: In den USA wird die CO2-Bepreisung als zusätzliche Steuer gesehen, die von allen Parteien abgelehnt wird. Nicht nur die Republikaner, auch viele Politiker der demokratischen Partei einschließlich Präsident Biden, die einen CO2-Preis vor Jahren noch unterstützt haben, lehnen ihn heute in ihren öffentlichen Stellungnahmen ab. Darum ist es höchst unwahrscheinlich, dass sich die G7 auf eine gemeinsame CO2-Bepreisung einigt.

„Solange diese Pro­bleme nicht gelöst sind, werden die CO2-Preise in der EU niedrig blei­ben müssen, um die hei­mi­sche Industrie nicht zu sehr zu be­­nach­­teili­gen. Das ist sehr bedauer­lich, weil Europa dann verstärkt auf andere Regulie­rungs­­maß­nah­men setzen muss, um seine Klimaziele zu erreichen."

(Foto: ©artjazz - stock.adobe.com)

Klima-Club „Light“ mit Mindest­­standards für den Umweltschutz

Jetzt wird diskutiert, einen weicheren Klima-Club zu gründen, der sich wenigstens auf Mindeststan­dards für den Umweltschutz einigt. Wenn in den USA die CO2-Emissionen nicht durch den Preis, sondern durch Regulierungsauflagen verringert werden, dann könnte das vielleicht als Äquivalent zu einem CO2-Preis in Europa interpretiert werden. Schließlich erhöht die Regulierung die Kosten amerikanischer Unternehmen ähnlich wie es die CO2-Bepreisung in Europa tut.

Dieser Ansatz ist leider sehr viel weniger elegant als ein einheitlicher Mindestpreis für CO2. Während der CO2-Preis einfach gemessen, verglichen und überprüft werden kann, ist der Ve­r­gleich unterschiedlicher Regulierungsmaßnahmen sehr komplex und wird zu einem erheblichen bürokratischen Aufwand führen. Ob das Ergebnis am Ende dazu führt, dass die EU auf einen Grenz­ausgleich zu den USA verzichten kann, ist völlig offen. Unklar ist auch, wie man andere wichtige Handelspartner, z. B. China, in ein solches Ab­kommen integrieren kann.

Solange diese Probleme nicht gelöst sind, werden die CO2-Preise in der EU niedrig bleiben müssen, um die heimische Industrie nicht zu sehr zu benachteiligen. Das ist sehr bedauerlich, weil Europa dann verstärkt auf andere Regulierungs­maß­nahmen setzen muss, um seine Klimaziele zu erreichen. Das wird sehr viel teurer werden, denn die CO2-Bepreisung ist nicht nur sehr effektiv, sie ist auch mit Abstand die effizienteste Form des Klimaschutzes, weil sie dazu führt, dass die CO2-Emissionen dort reduziert werden, wo es zu den geringsten Kosten möglich ist.