Perspektiefe 57, September 2022

Preise müssen die ökologische Wahrheit abbilden: Ein Blick auf die CO2-Bepreisung aus kirchlicher und theologischer Sicht

THEOLOGISCHER BEITRAG: Sie ist in den Hintergrund gerückt in den letzten Monaten – die Frage der CO2-Bepreisung. Denn: Energiepreise schnellen aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine und der Lieferverkürzungen Russlands in ungeahnte Höhen. Der deutsche Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck erwägt die Reaktivierung von Kohlekraftwerken, um die Versorgungssicherheit in Deutschland insbesondere mit Blick auf den kommenden Winter zu gewährleisten.

von: Pfarrer Dr. Hubert Meisinger, Referat Umwelt & Digitale Welt im ZGV, h.meisinger(at)zgv.info

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Die Rufe nach einem weiteren Betreiben von Atomkraftwerken werden lauter. Klima­schutz und Versorgungssicherheit stehen auf einmal in Konkurrenz zueinander. Der Umstieg auf erneuerbare Energien hält den derzeitigen Entwicklungen nicht stand, denn er sollte innerhalb des nächsten Jahrzehnts stattfinden.

Und dennoch: Die CO2-Bepreisung ist ein richtiger und wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu einer sozial-ökologischen Transfor­mation, den die neue Bundesregierung im Grund­satz eingeschlagen hat. Sie ist ein ordnungspolitischer Ansatz „by design“, der die soziale Markt­wirtschaft um „öko“ erweitert und einen Schritt hin zu einer ökosozialen Marktwirtschaft darstellt, um Umwelt- und Klimaschutz im marktwirtschaftlichen System darstellen zu können.

„Absurd der Gedanke, wir Menschen würden uns selbstverschuldet aus der Evolution alles Lebendigen auf diesem Pla­neten verabschie­den. Aber so absurd der Ge­danke, so ‚wahr‘ ist er leider auch …"
Dr. Hubert Meisinger

Ökologische Wahrheit

Die CO2-Bepreisung führt dazu, dass die Preise zukünftig immer stärker die „ökologische Wahr­heit“ ausdrücken – also nicht reine marktwirtschaftliche Einkaufs- und Verkaufspreise sind, sondern die ökologischen Auswirkungen der Pro­dukte mit berücksichtigen. Kosten werden nicht externalisiert, sondern gemäß des Verursacher­prinzips zugeordnet. Preise werden damit auch zu einer ethischen Kategorie, an der sich Verhalten orientieren soll.

„Ökologische Wahrheit“ ist dabei ein großes Wort, denn Wahrheit ist ein äußerst vielschichtiger und schillernder Begriff. Sie taucht in der Bibel an vielen Stellen auf, besonders eindrücklich im Jesus-Wort „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Eine radikale Sicht, unter die sich Jesus hier selbst stellt, wird darin doch ein Ausschließlichkeitsanspruch formuliert, wie er strikter nicht geäußert werden könnte: DER Weg, DIE Wahrheit, DAS Leben. Die „ökologische Wahrheit“ übernimmt diese Radikalität, denn sie fordert ein radikal neues Denken über den Wert der Ressourcen, die wir Menschen uns „aneignen“ und die wir zu unserem alleinigen Nutzen verbrauchen. Sie ist eine Art Augenöffner für die „ökologischen Kosten“, die wir erzeugen und die wir bisher nicht in den Blick genommen haben.

Soziale Härte der CO2-Bepreisung

Aber es gibt auch die soziale Wahrheit – oder anders formuliert: die soziale Härte der CO2-Be­preisung. Insbesondere für einkommensschwache Haushalte wirkt sie sich spürbarer aus als für einkommensstarke Haushalte. Die CO2-Beprei­sung kann von daher keine unermesslichen Hö­hen erreichen, soll sie auch akzeptiert werden. In dieser Gemengelage mögen die aktuellen Zahlen der CO2-Bepreisung als politisch bestimmte Zah­len durchaus einen gelungenen Kompromiss darstellen. Der allerdings für einkommensschwache Haushalte unbedingt weiter abzufedern ist. Die Erhöhung der Entfernungspauschale für den Weg zur Arbeit hilft hier wenig, die Entlastungen bei der EEG-Umlage lässt die Strompreise nicht ausreichend sinken. Eine Mobilitätsprämie für Geringver­diener ist ein Tropfen auf den heißen Stein.

Klimaprämie

Daher fordern kirchliche Expert*innen die Ein­führung einer Klimaprämie, die den sozialen Ausgleich fair und gerecht gestaltet: „Das Modell der Klimaprämie sieht vor, dass die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Haushalte zurückgegeben werden. Jede Person erhält denselben Betrag. Da Menschen mit unteren und mittleren Einkommen statistisch einen geringeren CO2-Fuß­abdruck haben, werden sie durch die Klimaprämie stärker finanziell entlastet.1 Gleichzeitig fördert der steigende CO2-Preis den Umstieg auf klimafreundliche Verkehrsmittel und Heizungen. Die Klimaprämie ist aktuell das überzeugendste Modell, das bei steigenden CO2-Preisen einkommensschwache Haushalte zuverlässig entlastet. Verantwortung wird dabei in guter kirchlicher Tra­dition und theologisch begründet von den „Rän­dern“ her gedacht: Klimaschutz wird aus einer sozial-ökologischen Perspektive entwickelt, die benachteiligte und einkommensarme Menschen ausdrücklich miteinschließt und sie an der gesellschaftlichen Umgestaltung beteiligt.

„Es geht um Verant­wortung vor Gott, dem Nächsten und der Mit­schöpfung. Als Christen und Christinnen glauben wir, dass Menschen mit Gottes Hilfe sich ändern können."

(Foto: Animaflora PicsStock - AdobeStock)

Abschied von der Abhängigkeit

Allerdings treibt nicht der CO2-Preis die Energie­preise in die Höhe. Vielmehr ist es die Abhängig­keit von fossilen Energien. Von dieser Abhängigkeit gilt es sich zu verabschieden und Energie konsequent aus den Quellen zu gewinnen, die sprudeln, ohne dass wir das Geschick der Menschheit und alles Lebendigen mit ihrer Nutzung aufs Spiel setzen. Letztlich ist Klimaschutz (auch) Menschen- oder Menschheitsschutz. Absurd der Gedanke, wir Menschen würden uns selbstverschuldet aus der Evolution alles Lebendigen auf diesem Pla­ne­ten verabschieden. Aber so absurd der Ge­danke, so „wahr“ ist er leider auch: Wenn wir nicht deutlich gegensteuern und strukturelle wie individuelle Muster oder Pfadabhängigkeiten verändern, läuft es auf einen Planeten ohne menschliches Leben hinaus. Und den Tod vieler anderer Lebensformen mit uns. Wie wahr wird da auf einmal das Wort von Paulus, dass die ganze Schöp­fung mit uns nach der Erlösung seufzt (Röm 8,18–21). Aller­dings konnte Paulus noch nicht wissen, dass die ganz reale Gefahr einer Auslöschung alles Lebendigen von uns Menschen ausgeht. Und eine ganz reale, körperliche Gefahr ist, bei der sich Seelenheil und körperliches Heil vollkommen voneinander entkop­pelt hat. Beides Heil muss Hand in Hand gehen. Körper und Seele bilden eine Einheit, die von Gott her verlebendigt wird. Das eine ohne das andere zu denken ist eine theo­logische Verkür­zung. So führt die Beschäf­tigung mit der CO2-Be­preisung letztlich auch zu Überle­gungen zur Anthro­pologie, zum Verständnis des Menschseins, aus theologischer Sicht. Wenn wir uns als einheitliche Wesen begreifen, werden wir auch unsere Verwandt­schaft zu allem sonsti­gen Geschaffenen wieder stärker verstehen und daraus ableiten, dass diese Quellen des Lebens nicht allein zu unserer Ver­fügung stehen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes Allmenden sind – Allgemeingüter für alles Lebendige, für alles Geschaffene.

Und welchen Beitrag leistet die Kirche?

Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz entwickelte ein internes CO2-Bepreisungsmodell. Ausgangspunkt war die ökonomische Einsicht, dass von 2021 bis 2050 im Jahresdurchschnitt rund 1,65 Millionen Euro CO2-Abgaben an den Staat vermieden werden, wenn die CO2-Emissionen kirchlicher Gebäude um rund 900.000 Tonnen reduziert werden. Für gebäudebezogene CO2-Emissionen müssen die kirchli­chen Eigentümer nun ab 2023 jährlich in der Regel 125 Euro pro Tonne in einen kirchlichen Klimaschutzfonds einzahlen, aus dem dann wieder Maßnahmen zur CO2-Reduktion bezahlt werden können.2 Ein Ansatz zur Sensibilisierung für CO2-Ausstoß, der auch in anderen Landeskirchen in der Zukunft auf dem Prüfstein stehen wird, wenn kirchliche Klimaschutzgesetze erarbeitet werden.

Zum Schluss noch eine theologische Bewer­tung der CO2-Bepreisung von der Evangelischen Kir­che in Deutschland (EKD): „Es geht um Verant­wortung vor Gott, dem Nächsten und der Mit­schöpfung. Als Christen und Christinnen glauben wir, dass Menschen mit Gottes Hilfe sich ändern können. Dafür positive Anreize zu setzen, lohnt sich. Jedoch müssen alle Verantwortung übernehmen: die Politik, die Wirtschaftsakteure und die Bürger und Bürgerinnen.“3


QUELLEN / LINKS

1 www.kircheundgesellschaft.de/institut/fachbereiche/umwelt-soziales/artikel-fachbereich-ii/klimaschutz/machbarkeitsstudie-klimapraemie/

2 www.ekbo.de/themen/detail/nachricht/evangelische-landeskirche-will-klimaschutz-staerken.html

3 www.ekd.de/sozialvertraegliche-umfassende-bepreisung-CO2-46273.htm