Politischer Handlungsbedarf zur Verhinderung von Biopatenten auf Nutzpflanzen
Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit wird derzeit im Rahmen des EU-Trilogs das Thema Deregulierung des Anbaus von NGT-Pflanzen in der EU diskutiert (NGT - Neue Genomische Techniken). Noch viel weniger bekannt ist, dass in Folge dessen das Risiko stark ansteigt, dass das geltende Sortenschutzrecht durch das Biopatentrecht zeitnah verdrängt werden wird. Mit extrem negativen Folgen für den gesamten Pflanzenzüchtungs- und Agrarsektor. Bereits jetzt bestehen im internationalen Saatgutsektor Oligopole. Biopatente führen zu einer zusätzlich verstärkten Privatisierung des Saatgutes.
Aus kirchlicher Sicht spricht vieles für den Erhalt des etablierten Sortenschutzrechts, das Züchtern, Forschern und Landwirten einen zwar klar geregelten, jedoch relativ freien Zugang zu den pflanzengenetischen Ressourcen ermöglicht.
Biopatente bei Kulturpflanzen haben aus Kirchensicht hingegen mehrere gravierende Nachteile:
- Aus einem schöpfungstheologischem Verständnis heraus sollten pflanzengenetische Ressourcen grundsätzlich nicht privatisierbar sein. Der Mensch besitzt die Schöpfung nicht, sondern kann an der Vielfalt bloß bebauend, züchtend und bewahrend teilhaben.
- Kulturpflanzen gehören zum gemeinsamen kulturellen Erbe der Menschheit. Kulturpflanzen werden seit etwa 12.000 Jahren gezüchtet und stammen von allen Kontinenten. Unzählige Generationen an Bauern, Gärtnern, Förstern und Pflanzenzüchtern haben Züchtungsarbeit geleistet. Biopatente werden oft als Biopiraterie-Instrument eingesetzt und verhindern bisherige Tauschsysteme von Saatgut und Open Source Systeme. Das verletzt christliche Gerechtigkeitsvorstellungen.
- Diese hohe Vielfalt an Kulturpflanzenarten und –sorten ist die genetische Basis zum Erhalt der Adaptionsfähigkeit der Nutzpflanzen an den Klimawandel. Die internationale Ernährungssicherheit hängt u. a. davon ab, dass viele Menschen weiterhin Zugang zu nicht patentiertem Saatgut haben. Es geht dabei um die Sicherstellung des Menschenrechts auf Nahrung. Ausreichender Zugang zu Nahrung ist aus Kirchensicht eine existentielle Voraussetzung für ein Leben in Würde und personeller Entwicklung. Globale Ernährungssouveränität ist ein wichtiger Baustein kirchlicher Friedensarbeit und -politik.
- Grundsätzliche christlich-ethische Probleme im Kontext von Biopatenten entstehen dadurch, dass das für unbelebte technische Erfindungen entwickelte Patentwesen sich nicht ohne weiteres auf Lebewesen mit ihrer Fortpflanzungsfähigkeit und ihrem jeweiligen Metabolismus übertragen lässt. Aus dem Schöpfungsglauben heraus ist das Lebendige kategorial anders zu behandeln als tote Materie.
- Oligopole im Agrarsektor sind mit erheblicher globaler wirtschaftlicher und politischer Macht verbunden. Bereits jetzt wird Hunger als Waffe eingesetzt. Kirchlich spricht deshalb vieles dafür, existentielle Ressourcen der Daseinsvorsorge wie das Saatgut nicht über Biopatente in die Hand weniger internationaler Agrarkonzerne zu geben. Stattdessen sollte die Vielfalt an Pflanzenzuchtunternehmen samt Sortenschutzrecht erhalten bleiben, um Machtmissbrauch zu verhindern.
- Pflanzenzucht lebt von Forschung und Innovation. Bisher können Wissenschaftler frei auf Pflanzensorten für Forschungszwecke zugreifen. Biopatente verhindern dies und blockieren dadurch die Forschungsfreiheit und den Forschungsfortschritt. Aus Kirchensicht spielt die Generierung von neuem Wissen und die freie internationale Teilung von wissenschaftlichen Erkenntnisse eine sehr wichtige Rolle in agrarischen Transformations- und Nachhaltigkeitsprozessen.
Die grundsätzliche Kritik an Biopatenten in der Pflanzenzucht teilen sehr viele Landwirte, Pflanzenzuchtunternehmen, Umweltverbände, Kirchen.
In den Anlagen finden Sie
- eine aktuelle kritische ZGV-Stellungnahme zu Biopatenten
- eine aktuelle Stellungnahme zu Biopatenten der EKD und diversen Kooperationspartnern
- ein White Paper zur Reform der EU-Biopatentrichtlinie
- den EKD-Text 115 zu Biopatenten von 2012