THEMA: Bürokratie und Verwaltung (66/2025)
Erst der Antrag, dann das Leben ...?
„Bürokratie“ ist ein echtes „Tanker“-Wort und ein „zweischneidiges Schwert“. Unter ihr versammelt sich vieles und sie kann sowohl positiv als auch negativ beurteilt werden. Auf der positiven Seite stehen: Planbarkeit, Genauigkeit, Effizienz, Stabilität und Fairness bei der Bewältigung von komplexen Aufgaben und Abläufen. Sie schützt vor willkürlicher Ausübung von Gewalt und erleichtert die Arbeit, indem sie Handeln nach vorgegebenen Regeln ermöglicht. Auf dem Negativkonto stehen: starre Hierarchien, lange Entscheidungswege, Überregulierung, Zentralisierung von Macht und Entscheidungsgewalt bei wenigen. Auch geringe Agilität und Dynamik, die sie zur Transformationsbremserin machen, und Mehrbelastung für BürgerInnen und Unternehmen werden angeführt. Die einen möchten daher mit der Kettensäge den „Bürokratieabbau“ betreiben und die anderen pochen darauf, dass es ohne eine gut (aus)gebaute Bürokratie, Verwaltung etc. nicht gehen wird, schon der drohenden Rechtsstreitigkeiten wegen, wenn etwas eben nicht gut geregelt, dokumentiert usw. ist. Ob Bürokratie positiv oder negativ ist, hängt natürlich von verschiedenen Faktoren ab und insbesondere vom Kontext und der Art des Ansatzes. „Humanocracy“ ist hier ein neueres Orgawort: Jeder Mitarbeitende beteiligt sich an der Lösung von Problemen und jeder Mitarbeitende wird in der Verwaltung höchstmöglich empowert. Hübscher Gedanke! „Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau.“, heißt es in der Bibel (1. Korinther 3,9). Kann auch diese grundlegende Perspektive etwas für unser Thema austragen? Vielleicht ist es der gläubige Blick auf das Dasein des Menschen selbst, das auch beim Thema Bürokratie bedacht werden kann: Bürokratie, Verwaltung ist Mittel zum Zweck guten Lebens, das wir selbst nicht erfunden haben. Dass wir alle dabei nicht in eine Traumwelt flüchten dürfen, so wie der kleine Angestellte Sam Lowry (Robert de Niro) in dem ziemlich dystopischen Spielfilm Brazil von Terry Gilliam, lässt dann aber irgendwie nur den einen Schluss zu: erst das Leben, dann der Antrag.
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre,
Ihr Christian Schwindt
Perspektiefe 66, September 2025
